Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
drüben nur ein paar Leute dazwischenzustellen und Peitz wäre dem Blicke entzogen gewesen. Er beschloß also, in den ersten Wagen sich zu begeben, wie er schon vorgehabt. Eben flog der Zug dröhnend aus dem Schlauch und wieder einen Bahnsteig entlang. Peitz stand auf. Auch Conrad verließ den Zug. Es gab unendlich viel Menschen, die Lage wurde schwierig, und so hielt sich Castiletz stets dicht hinter unserem beleidigten Henry, also, daß er dessen braunen Hut (in der Form zu Peitz ganz vortrefflich passend, nämlich brettchensteif!) immer auf zwei Armeslängen vor sich sah. Der hell erleuchtete Tunnel, durch welchen die Leute hier in langem Strome eilten (Conrad glaubte, dem Ausgange zu) schien kein Ende nehmen zu wollen. Jedoch nun ging es übereck Treppen hinauf: wieder ein unterirdischer Bahnsteig! Peitz hielt sich nach rechts, wanderte den ganzen Perron entlang, und da stand er wieder; und Conrad, welcher ihn – diesmal recht geschickt! – durch Umgehen der in der Mitte des Bahnsteiges aufgestellten Häuschen, Buchhandlung und Zigarrenladen, ungesehen überholt hatte, bereits zwei Schritte hinter ihm.
    Wieder flog ein Zug heran. Knapp vor Peitz kam die gelbe Stirnwand zum Stehen. Nun war man also im gleichen Wagen. Castiletz saß unweit der Mitte, Peitz stand etwas abseits der Türe, nein, er konnte ihm nicht entgehen.
    Mit mäßigem Dröhnen und Rollen ging’s durch die Schläuche. Man flog in von Lichtern bewohnte Höhlen, man hielt. Conrad sah sich um, weil er nun wissen wollte, wo man eigentlich fuhr, er suchte eine Aufschrift zu lesen. Hier stand, inmitten einer elliptischen Tafel mit grünem Rande: »Märkisches Museum.« Nein, es war freilich kein Museum, es war ein Untergrundbahnhof, der nach jenem nahegelegenen Institute so hieß: aber im Traum hätte es zum Beispiel auch ein Museum sein können, es hätte im Traum einfach so geheißen, jedoch ausgesehen wie ein Bahnhof, und diese Aufschrift gehabt . . . Conrad verwunderte sich und sah nochmals nach jener Tafel. Sein Nachbar schloß daraus (und wie man weiß, mit Recht), daß dieser Herr ein Fremder sei, denen die Berliner bekanntlich stets mit Freundlichkeit begegnen. »Jetzt fahren wir unter der Spree durch«, sagte er zu Castiletz. »Über dem Tunnel ist hier das Wasser?« »Ja«, sagte jener und lachte, »aber wir können unbesorgt sein.«
    Leer, unanschaulich fielen die durcheilten Strecken zwischen je zwei Stationen in die Finsternis, ins rollende Nichts. Man fuhr eigentlich nicht. Man wartete. Man saß in diesem hellerleuchteten Kasten, der ebensogut auf der Stelle hätte rollen und rütteln können und an dessen Fenstern die gleichbleibende, aus der festen in die flüssige Form übergegangene Wand vorbeivibrierte. Die Zurücklegung eines Weges manifestierte sich sozusagen nur abstrakt, indem bei jedem Halten etwas anderes auf den Tafeln stand. Castiletz wartete, bis der mögliche Mörder Louison Veiks aussteigen würde. Auch das war abstrakt; Conrad hatte zwar nicht dieses Wort dafür, wohl aber das Gefühl davon. Schönhauser Tor. Senefelder Platz. Plötzlich war der Schlauch nach rückwärts verschluckt, der Zug lief hoch, frei. Nun fuhr man wieder eigentlich. Die Wipfel der Bäume, etwas unterhalb des Viaduktes, standen hell und scharf in der Farbe, ihr Glasgrün da und dort vom elektrischen Straßenlicht bestrahlt. Es sah kalt aus. Unten bewegten sich Menschen und Automobile in breiten und langen, ja, geradezu bis in die Ferne hinauslaufenden, ganz gleichartigen Straßenzügen. Danziger Straße. Schönhauser Allee. Dröhnend in den Schlauch. Der war kurz, mündete gleich in die Lichterhöhle des Endbahnhofes, während sich alles erhob, um auszusteigen.
    Als Castiletz hinter Peitz wieder an die Oberwelt kam, schien es ihm kälter geworden zu sein. Jedoch hatten Regen und Wind ganz aufgehört. Die weiträumigen Straßen, durch welche der Gegenstand von Conrads Aufmerksamkeit nun eilfertig ging, und zwar nach links sich wendend, waren nur mehr wenig belebt. Castiletz mußte Abstand halten. Er lugte nach den Straßenschildern. Es war eigentümlich: war man früher in einer Tiroler Weinstube gesessen, so schien man nunmehr in ein sozusagen tirolerisches Stadtviertel geraten: ›Zillertalstraße‹ hieß es hier. Warum nicht gleich Salzburgisch? Es lag nahe. Peitz ging an einer Straßenkreuzung geradewegs auf eine hellbeleuchtete Wirtschaft zu und trat rasch ein. Hier hieß es nun folgen und sich drinnen unauffällig irgendwohin drücken, von

Weitere Kostenlose Bücher