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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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wo aus man ihn im Auge behalten konnte. Castiletz verzog ein wenig. Das Gastzimmer, welches er dann betrat, war geräumig und nahezu leer. Peitz vermochte er nirgends zu erblicken, und einen zweiten Raum schien es nicht zu geben. An der einen Längsseite waren Abteilungen gebildet, indem man hölzerne Querwände zwischen den Tischen angebracht hatte. In zwei davon konnte Castiletz schon von der Türe aus hineinsehen, sie waren leer, und die dritte auch: also mußte Peitz in der vierten sitzen, von wo eben der Kellner hervorkam. Es blieb nichts anderes übrig, als sich in dem benachbarten Fache niederzulassen.
    Hier wurde Conrad von einem, wie ihm schien, außerordentlich günstigen Umstande angenehm überrascht. Die Querwand reichte keineswegs ganz bis zur Mauer, sondern ließ einen ziemlich breiten Raum offen, durch welchen es unter Umständen möglich war, in die nächste Abteilung zu sehen, wenn man nämlich den Stuhl ziemlich weit zurückschob und sodann auf dessen rückwärtigen Beinen ein wenig wippte: Castiletz versuchte das vorsichtig, und da konnte er nun Peitz ganz erblicken, ja, er hätte ihm in den Teller schauen können. Indessen trank der abstrakte Mörder nur ein Glas Bier.
    Vielleicht hing es mit dieser Entdeckung Peitzscher Sichtbarkeit zusammen, daß Conrad plötzlichen Appetit verspürte. In der Tiroler Weinstube hatte er so zwischendurch gegessen, stets auf dem Sprunge und dem Essen selbst keinerlei Aufmerksamkeit zuwendend (auch war ihm beinahe die Suppe bei der Nase herausgekommen!). Derlei halbbewußte Mahlzeiten schienen nicht zu sättigen. Er wünschte sich aufs heftigste Gebäck, Butter und eine Käseplatte und bestellte alsbald diese Dinge bei dem Kellner, und zwar »sotto voce«, ohne die Stimme im geringsten zu erheben: ihm schien es unerwünscht, dem Peitzschen Ohre hinter der Wand Kenntnis vom eigenen Organ zu geben.
    Kaum hatte Castiletz seine heißhungrigen Genüsse beendet, als sich die Türe öffnete und ein junges Mädchen von hübschem und anständigem Äußeren eintrat, in langem, dunklem Mantel und mit einem jener kleinen hohen Hüte, wie sie damals gerade üblich waren. Sie schritt durch das Gastzimmer sogleich auf die Abteilung zu, in welcher Peitz saß, und dieser rückte seinen Stuhl, um sie zu begrüßen.
    Castiletz wippte ein wenig, und so konnte er denn sehen, daß die Neuangekommene sich neben Peitz niedergelassen hatte, ohne Hut und Mantel abzulegen, am Rand des Stuhles und wie jemand, der gleich wieder zu gehen gedenkt. Sie schien eine Frage an ihn gerichtet zu haben, denn er nickte und zog jetzt, gleichsam als Antwort, einen in Seidenpapier eingeschlagenen länglichen Gegenstand aus der Tasche, nach welchem sie griff; und nachdem sie die Hülle entfernt hatte, ließ sie den Deckel des ziemlich großen marmorierten Etuis springen. Von dem Schmuck, welcher darin lag, sah Castiletz nur einen Blitz, wie das Feuer von Brillanten, weil die junge Person ihm den Rücken kehrte und beim Betrachten über das Stück gebeugt blieb. Nun schloß sie das Ding wieder – Conrad konnte das leise Klacksen des Deckels hören – wickelte es in das Papier und steckte das ganze in ihr Täschchen. Eine Minute später hatte sie das Wirtshaus bereits verlassen.
    Castiletz hing gleichsam im Leeren, und gepeinigt von dem Bedürfnis, etwas zu tun, in irgendeiner Weise zuzugreifen. Indessen trank Peitz nebenan ein weiteres Bier und trommelte mit den Fingern auf dem Tischtuch. So verging ziemlich viel Zeit, vielleicht eine halbe Stunde. Was er eben erlebt, schien für Conrad in einem direkten Zusammenhange zu stehen mit jenem Zeichen, das Günther ihm mit den Augenbrauen in der Tiroler Weinstube am heutigen Abend gegeben hatte. Jedoch fehlte hier für eine weitere Überlegung jede Grundlage. Um bereit zu sein und weil der Kellner gerade in der Nähe stand, winkte Castiletz ihn heran und bezahlte. Fast unmittelbar danach rief Peitz nach dem Kellner: in der Türe erschien wieder das Mädchen von früher und kam an den Tisch zu Peitz, der sich erhob und nach Hut und Mantel griff. Er richtete an sie eine Frage, die Conrad deutlich hören konnte, es war nur ein Wort, nämlich: »Angetroffen?!« »Ja«, sagte sie, »morgen bekommst du Bescheid.« Die beiden gingen.
    Und Castiletz gleich nach ihnen. Wie zu Stuttgart und Lauffen fühlte er sich auch jetzt wieder in einer bestimmten Rinne befangen, welche das Leben da unsichtbar bildete: in dieser Bahn aber lief alles unentrinnbar, von sogenannten

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