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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Raum.
    »Familienpflichten«, sagte Lehnder und gähnte wirklich. »Ich wußte schon durch deine Tante, daß du in Berlin seist, auch wo du wohnst. Hätte dich dieser Tage angeklingelt. Leider viel zu tun gehabt. Du siehst übrigens miserabel aus, mein Junge.«
    »Ja, das wundert mich wenig«, sagte Conrad geläufig. »Du weißt nicht, was ich in Berlin jetzt für ein Leben geführt habe. Bei Tage Konferenzen und bei Nacht sogenannte Vergnügungen.«
    »Doch, ich weiß«, antwortete Lehnder. »Kann mir das schon vorstellen. Es ist mir auch bekannt, weshalb man dich nach Berlin geschickt hat, und vor allem, weshalb die da überhaupt zusammengeströmt sind. Die Spatzen pfeifen alles von den Dächern. Aber herauskommen wird bei der ganzen Geschichte rein gar nichts, das kann ich dir jetzt schon sagen, jedenfalls keine einige Macht, die was ausrichten könnte; und eure Jute da oder wie das Zeug sonst heißt, wird weiter machen, was es will.«
    »Scheint mir auch so«, sagte Castiletz.
    »Nun, dich braucht‘s ja nicht zu betrüben! Erfreulich jedenfalls, daß wir uns bei diesem Anlasse so zufällig getroffen haben. Seit Tagen stand dein Name bei mir auf dem Block. Es gibt Dinge, die sich von selbst erledigen. Auch bei rückständigen und schon lange zu schreibenden Briefen tritt dieser Fall mitunter ein.«
    »Man sollte sich darum nicht zuviel Kopfzerbrechen machen«, sagte Castiletz lebhaft.
    »Sehr richtig bemerkt«, erwiderte Lehnder. »Was treibst du heute abend?«
    »Ich muß sogleich zur Stadt«, sagte Conrad unverzüglich. Wie die meisten Menschen lehrte die Not ihn keineswegs beten, wohl aber geläufig, ja bereits unnötig lügen.
    »Und ich zu den Leuten, wo ich eingeladen bin. Vielleicht bring ich sogar die Perlen an. Peitz – so heißt der Mann – hat mir selbstverständlich eine prozentuelle Beteiligung zugesagt.«
    Sie vereinbarten, daß Conrad morgen nachmittags bei Albert in der Kanzlei anklingeln sollte. »Damit wir mal einen Abend zusammen verbringen können.«
    Castiletz ging. Seine Beine fühlte er seltsam leer und gelockert, als stapfe er durch tiefen Sand. Ein Gefühl der Entblößtheit, der Schutzlosigkeit begleitete ihn auf dem Wege zur Untergrundbahn, den er nun schon kundig dahinschritt und wie in diesem Stadtviertel zu Hause. Die Leere, welche in ihm herrschte, war eine so vollkommene, daß er sich jetzt all dieser Umwelt hier viel deutlicher bewußt wurde als bei erfüllterer Verfassung, daß er die dunklen Straßen, die einsam an den Ecken stehenden Pfähle mit den Straßenschildern, die Bäume, deren Grün hell und scharf ins Laternenlicht trat, wie gefärbtes Papier so starr – daß er dies alles kalt und deutlich in sich aufnahm, während zugleich eine Empfindung von Gefahr in ihm wuchs, als sauge das Vakuum, darin er sich bewegte, eine solche geradezu an: alles Unbestimmte aus jenem äußeren und nicht mehr recht benennbaren Ringe des Lebens, der gleichsam als ein Hof noch um den inneren liegt, jedoch ohne noch einzelne und aufzählbare Dinge und Angelegenheiten zu enthalten – alles aus diesem Raume schien jetzt ringweis um einen Schritt nähergetreten zu sein, in einem engeren Kreise sich schließend. Schwer lag es von allen Seiten um Conrad in der kalten Abendluft, legte sich an ihn wie eine Härte, zu welcher jeder vermittelnde Übergang fehlte. So versunken in sich, und auf diese Weise vielleicht enger verknüpft mit allem rundum denn je, gelangte er die Treppen zum Bahnsteige hinab, blieb am Flecke stehen, und da der letzte Wagen des Zuges gerade neben ihm hielt, stieg er dort ein. Knapp vor der Abfahrt wurde die Schiebetüre nochmals geöffnet; ein Mann in der lodenartigen dunkelgrauen Uniform des Schaffners, mit den grünen Aufschlägen am Kragen, fuhr nun in dem sonst beinahe leeren Waggon mit. Der Beamte näherte sich Conrad, welcher automatisch seine Fahrkarte hervorlangte, in der Meinung, es handle sich vielleicht um eine Kontrolle.
    »Verzeihen Sie, Herr«, sagte der Mann, »es handelt sich nicht um die Fahrkarte.«
    Castiletz sah auf (noch immer in der Voreingenommenheit oder Befangenheit, die man gegenüber sozusagen behördlichen Organen hat) und blickte jetzt in das Gesicht dessen, der ihn ansprach. Es war ein Gesicht, keine bloß amtliche Physiognomie, es war ein sogar heftig bewegtes Antlitz: lang und hoch, irgendwie weich und schwach, ein wenig blaß und feucht, scheinbar von Schweiß, an den herausgemagerten Backenknochen und an den Schläfen.
    Er sieht aber doch

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