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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Nachtschnellzuge von Stuttgart weg, vor neun Jahren, reiste sie ja mit mir und saß zuerst sogar neben Ihnen.«
    »Blond, mager?«
    »Ja. Leider sehr mager, und das wird auch nicht anders. Es hat seine Gründe, warum sie gerade hier in dieser Gegend wohnt, unter anderem den, daß sich dort drüben – « (er hob den Arm und zeigte über die Straße auf die Parkmauer, darin ein breiter Eingang zu sehen war, jetzt verschlossen) – »dort drüben also befindet sich das städtische Institut für Knochen – und Gelenkskranke. Sie ist fast ständig in Behandlung. Nun sind wir gleich da«, fügte er nach. »Sie wird noch nicht zu Hause sein, sondern bei einer Nachbarin. Aber ich habe den Schlüssel.«
    Sie überkreuzten eine Fahrbahn, wandten sich nach links und bogen gleich danach rechts in eine sehr schmale Straße ein. Am Tor des Eckhauses sagte der Zugfahrer: »Hier sind wir. Gestatten Sie, daß ich vorausgehe.« Das Haus war alt, von grünlicher Farbe und hatte mehrere Balkone. Soviel sah Castiletz noch. Dann folgte er dem Voranschreitenden durch Flur und Treppenhaus. Ein Schlüsselbund klimperte, ein Lichtschalter knipste, und Conrad trat in eine kleinräumige Behausung, darin es nach irgendeiner leicht fettigen Haarpomade oder sonst einem ungewohnten und vordringlichen Parfüm roch.
    Dies war das erste, was er bemerkte. Sodann eine Maschine zum Strumpfwirken, wie Heimarbeiterinnen sie haben, eine Nähmaschine und einige dazu gehörige Dinge. In der Ecke standen Schneiderpuppe und Plättbrett. Der zweite Raum sah präsentabel aus oder wollte so aussehen, in der Mitte gab es einen Tisch mit grüner langgefranster Decke, und rückwärts sah man ein Büfett, das Metallsachen herzeigte und eine Aschenschale mit einem Zwerg.
    »Bitte nehmen Sie vor allem Platz«, sagte der Zugfahrer. »Ich für mein Teil muß jetzt einen Korn haben. Vielleicht nehmen Sie auch einen.«
    »Sehr gerne«, sagte Castiletz einfach.
    Der andere kam von rückwärts mit einer Flasche und zwei Gläsern. Das dem »ohnehin vernünftigsten« nicht ganz unverwandte Getränk wirkte auf Conrad belebend; es schärfte noch heraus, was bereits in ihm fest und fühlbar bestand: nach dieser kurzen Zeit. Vor einer halben Stunde war er noch mit Lehnder gesessen. Lehnder war der Hauslehrer eines Menschen gewesen, der für Castiletz überschaubar und festgelegt zu werden begann.
    »Ich heiße Botulitzky«, sagte der Zugfahrer und streckte seine Hand hin.
    »Castiletz«, sagte Conrad deutlich und lächelte leichthin. »Ich glaube übrigens, daß zwischen uns Namen wenig mehr zur Sache tun.« Er griff in die Rocktasche und fand dort eine Schachtel Zigaretten. Botulitzky holte den Aschenbecher mit Zwerg.
    »Darf ich jetzt sprechen?« sagte er und zog den Rauch der Zigarette tief ein.
    »Ich bitte Sie, mir alles mitzuteilen, wirklich alles«, antwortete Castiletz klar und ruhig.
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    »Die Ermordung Louison Veiks«, sagte Botulitzky und sah vor sich auf die Tischdecke, »erfolgte nicht, wie die Polizei vor neun Jahren angenommen hat, auf der Strecke durch den Thüringer Wald zwischen Grimmenthal und Erfurt, sondern – und zwar durch Sie und mich, Herr Castiletz – bereits etwa dreißig Minuten nach der Abfahrt von Stuttgart, in dem Tunnel zwischen Kirchheim und Lauffen am Neckar. Der Vorgang war folgender: in einem Augenblicke meiner größten Schwäche, sozusagen auf dem Punkte meines geringsten Widerstandes – punctum minimae resistentiae – angekommen, mußte ich mich vor meinen Reisegefährten, und besonders vor jenen beiden gottverdammten Kofmichjünglingen, die damals in der von mir großtuerisch benutzten zweiten Klasse mitfuhren, damit dicke tun, daß ich Akademiker und Student der Medizin war; und so kam denn jenes präparierte Kopfskelett zum Vorschein, welches Sie dann – es war der höchst originelle Einfall eines dieser beiden Ganoven! – am Spazierstocke vor das offene Fenster des uns benachbarten Abteils hielten, worin sich eine alleinreisende Dame befand. Diese Dame war Louison Veik. Als es mit dem Scherz Ernst werden sollte, packte mich damals die Angst, und ich verdrückte mich, mitsamt dem Mädchen, auf den Gang hinaus. Erinnern Sie sich daran?«
    »Ja, sehr genau«, sagte Conrad.
    »Ich werde Ihnen nun sagen, was ich vom Gange aus sah. Durch den beim offenen Fenster eindringenden Wind hatte sich einer der Vorhänge, welche das Hereinsehen vom Gange in das Abteil sonst verwehrten, gelüpft und umgeschlagen. Margit – so heißt meine Braut,

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