Ein Mord den jeder begeht
entschuldigen zu wollen. Muß gleich wieder zur Stadt. Ich bin lediglich herausgekommen, um Ihnen die Sache da zu übergeben.«
Eine Minute später verschwand der brettchensteife Hut hinter dem roten Filzvorhange.
Conrad stand auf, trat um die Wand zu Lehnder und sagte: »Guten Abend, Albert.«
»Ja, wie kommst denn du daher?« fragte dieser in aller Ruhe.
»Das wollte ich eigentlich dich fragen«, erwiderte Castiletz und versuchte dabei insgeheim den noch vorhandenen letzten Rest von Gleichgewicht in sich zu befestigen. Wenn es früher, dort im Fußgängertunnel der ›Stadtmitte‹, durch Augenblicke so gewesen war, als ob »das Leben« nun unerhört und überraschend hervortreten wollte, so schien dieses jetzt weit eher gesonnen, seine verhältnismäßig seltene Neigung zu derlei nachdrücklichst unter Beweis zu stellen.
»Na, bei mir ist das wohl nichts Besonderes«, sagte Lehnder. »Dort hinten in der Kissingenstraße ist doch das Amtsgericht Pankow. Da führte ich heute zwei Vertretungen für meinen Chef, der hier mehrere Klienten hat. Nachmittags war ich bei diesen und abends bin ich zufällig heraußen eingeladen. Nun wollte mich der Mensch da unbedingt sprechen, den du vielleicht gesehen hast. Blieb nichts übrig, als ihn herauskommen zu lassen.«
»Wegen eines Schmuckes«, sagte Conrad und lachte, sich zu seiner eigenen Überraschung plötzlich und mit Glück verstellend. »Ich weiß schon.«
»Hast eben von nebenan gelauscht«, sagte Lehnder ruhig. Castiletz bemerkte immer mehr, wie stark gealtert jener aussah. Das bleiche Gesicht neigte zur Fülle, ja, an den Schläfen waren vereinzelte graue Haare zu sehen. »Der Mann hatte vor acht oder neun Jahren die ganz brauchbare Idee, einen Teil seines Geldes in Schmuck anzulegen, wegen festem Wert, und so. Nur waren’s eben Perlen. Esel. Die Japaner züchten das doch, Perlen sind gefallen. Jetzt verliert er freilich.« Die Redeweise Alberts war nachlässig und beiläufig, leicht moros, jedoch nicht unliebenswürdig. Lehnder schien sich stark verändert zu haben. Schon allein, daß er schlankweg von solchen Dingen redete, ohne irgendeine Frage an Conrad zu stellen, sprach sozusagen für weitgehende Wandlungen, die in den letzten Jahren mit ihm vor sich gegangen sein mußten. Und seltsamerweise erinnerte er Castiletz hier und jetzt an die Grumbach, Stolzenbach und Wirchle; auch dieses Leben Albert Lehnders hier (das er doch gar nicht kannte) schien ihm in der gleichen Weise überschaubar und festgelegt wie bei jenen Herren, mit seiner Arbeit, seinen Beziehungen, Erwägungen, und wohl auch Amüsements: letztere waren dem Doktor Lehnder gar sehr anzumerken.
»Er hat jetzt bei dem Juwelier, von dem die Perlen stammen – ein Mann in der Friedrichstraße, der mir das neulich selbst erzählte – natürlich ein weit niedrigeres Angebot erhalten. Nun versucht er’s privat, und ich will ihm dabei behilflich sein. Heute abends soll ich das Ding herzeigen, dort, wo ich eingeladen bin, vielleicht wissen die Leute was. Kannst dir’s auch mal ansehen. Wenn Bedarf vorhanden, für deine Frau etwa oder so, steht’s dir zur Verfügung.«
Er zog nachlässig das Etui aus der Rocktasche und ließ den Deckel springen. Darin lag, glänzend und noch ganz bei Leben, eine vierfache Perlenreihe.
»Ein alter Klient von uns, und ein guter, pünktlicher Zahler, sonst würde ich mich da kaum in Bewegung setzen«, sagte Albert. »Sonst ein Ekel. Hat trotzdem, man sollt‘ es kaum glauben, eine sehr hübsche Freundin, hier in Pankow übrigens. Die läuft sich jetzt die Füße ab, bei einigen reichen Metzgermeistern in der Gegend, mit einem zweiten solchen Ding. Ist aber weniger schön.«
Conrad klappte das Etui zu.
»Na, gefällt’s dir nicht?« sagte Lehnder.
»Es ist prachtvoll«, erwiderte Castiletz, »aber meine Frau mag keine Perlen. Sie ist überhaupt jetzt viel zu sportlich, um auf Schmuck gesteigerten Wert zu legen.«
»Hab ich gehört, durch deine Tante Berta, der du das einmal schriebst, vom Sport, den deine Frau betreibt, und so. Hat auch seine Vorteile, wenn eine Frau irgendeinen Sparren hat. Da geht ansonst manches leichter.« Und mit einem Erstaunen, zu welchem er sich sozusagen verspätet noch einmal aufraffte, fügte Lehnder hinzu: »Aber nun sage mir: was machst du in Pankow?!«
»Die Veiks hatten eine langjährige Köchin, welche nun hier verheiratet ist. Nach der sollte ich sehen.« Das ging leicht und spielend, ohne Zögern und Anstoß, wie im leeren
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