Ein Mord den jeder begeht
Murmeln des Wassers, es sprach sich nun aus und kam zu seinem vielfältig wechselnden Worte. Einen Augenblick lang war man von dem erlebten Ereignis und Triumph emporgerissen worden, und gegen das Haus hin, zu laufen, zu erzählen: da traten plötzlich die großen Kochtöpfe der Küche vor den besorgten inneren Blick. Und Conrad gelobte sich zu schweigen. Das Gelöbnis sammelte ihn jetzt, in der herrschenden Stille, die als weiße Spiegelung einer Wolke tief in die Fläche des Weiherchens schnitt. Nun fiel der Blick auf ›Minnesota‹, die so bescheiden Gelandete. Conrad dankte dem Schiff. »›Minnesota‹, ich danke dir, du bist ein gutes, ein wackeres Schiff«, sagte er vor sich hin. Er blieb sitzen in der Sonne, ohne sich zu regen. Er war glücklich.
Jedoch hier kam’s zu keiner eigentlichen Krebszeit mehr, und eine paradoxe Besorgnis, daß es etwa »Molche« werden könnten, tauchte nicht auf. Denn die Planungen der Anlage weiterer Staubecken, oberhalb des schon bestehenden und mehr gegen den Wald zu, blieben unausgeführt. Zuerst hatten solche Absichten sich notgedrungen daraus ergeben, daß für ›Minnesota‹ ein neues Fahrwasser geschaffen werden mußte (denn das bisherige kam nicht gut mehr in Betracht, da die Schiffahrt eine Störung des bedächtigen Bewohners hätte mit sich bringen können – obwohl anderseits die Fahrt des Dampfers über einem Ungeheuer der Tiefe auch reizvoll erschien!). Zum zweiten wurden solche Pläne (abends im Bett) ausgeheckt in der Hoffnung, ein neues Becken könnte wiederum einen geheimnisvollen Gast aus dem – vielleicht in rätselhafter Weise vielbewohnten – Bache anlocken.
Indessen, solche Pläne schob man nur mehr vor sich her, wenn auch bis gegen das Ende der Ferienwochen zu, und eines Tages ging denn ›Minnesota‹ wieder hinter den Einmachgläsern ins Trockendock.
Die Rückkehr in die Stadt und Schule – das Zimmer mit dem bedeutenden Ausblicke über den Kanal roch seltsam leer und staubig und verheißungsvoll zugleich – diese Rückkehr wandelte alles in wenigen Tagen, richtete den Gang wieder ganz auf, während sich in der Gegend über dem Zwerchfell Erwartungen der verschiedensten Art herumtrieben. Schon vor dem Ende der Ferien hatte Conrad eigentlich erstmalig die stumme, tiefverschleierte Begleiterin fast allen erwachsenen Lebens kennengelernt: die Langeweile. Er war viel herumgestanden, auf Bänken gesessen, an den altmodischen, gittrig geschnörkelten Holzveranden der Villen entlangblickend, an den Zäunen mit den längst verblühten Fliederbüschen, welche die Gärten gegen die Straße zu abschlossen und deren Blätter entweder fettig glänzten oder von einer dünnen Staubschicht bedeckt waren.
In diesem Winter wendete sich das Blatt in einer Richtung, deren Anfänge für überaus bedeutsam gehalten und immer neu beschrieben werden, worüber man verschiedentlich denken mag. Bei Conrad Castiletz zumindest – so versehrend und atemberaubend ihm dieser Pfeil auch durch das Zwerchfell schlug – erscheint als bedeutsam nur, daß er, erstmalig den Weg in den eigentlichen Kern seines Stadtviertels findend, in jenes trübe, ja selbst düstere Gewinkel alter und zum Teil sogar uralter Gassen – daß er dabei keiner einzigen jener Vorsichtsmaßregeln sich entschlug, die eine recht freudlose kameradschaftliche Aufklärung empfohlen hatte, welchen Kenntnissen sodann einiges Nachlesen den genaueren Umriß verlieh. Jene Belehrungen waren übrigens schon früher erfolgt, und das Wissen, welches sie vermittelten, hatte Conrad zunächst nur als eine drückende und störende Belastung empfunden und so rasch wie möglich wieder vergessen. Nun freilich griff er darauf zurück und auch auf Bücher: Geschäftsdispositionen und ihre Durchführung. Nachdem alles im rechten und das Nötige beschafft war, machte er sich gegen Abend auf einen Weg, dessen verwunderlichstes Erlebnis für ihn jene ganz neue Auslegung blieb, die er, in solchen Absichten wandelnd, allem Leben um ihn in den Straßen verlieh: wo diese Auslegung aber gar nicht anwendbar, dort schien ihm das Leben heute befremdlich – etwa, daß bei einem Wirtshause ein Wagen mit Stückfässern hielt, die von ihren gewaltigen Tonnenleibern aus Schläuche in eine Kellerluke hinab entließen.
Conrad stieg über diese Weinschläuche hinweg und ging seines Weges. Die Dämmerung fiel, er überkreuzte die große, breite, von Verkehr rasselnde Straße, die hier leicht bergab führte, und trat nach links ins Gewinkel
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