Ein Mord den jeder begeht
herabstrahlenden Deckenlampe erhellt waren. Nur flüchtig streifte ihn die Erinnerung an sein einstmaliges seltsames Spiel im Empfangszimmer: dies paßte nicht hierher, er verscheuchte es.
»Mann oder Frau?« fragte er kurz und sachlich den Besitzer.
»War ein Mann«, sagte dieser lachend, »sicher ein ganz patenter Kerl, sieht doch jetzt noch recht einnehmend aus, nur etwas blaß.«
Aber plötzlich entriß man unter Geschrei Conrad den Schädel. Ein ungeheurer Einfall war bei den zwei jungen Leuten geplatzt, gleich einer Bombe.
Nebenan, hieß es, fährt eine allein. Der halten wir im Tunnel, der jetzt kommt, den Schädel vors Fenster. Alles schrie und lachte durcheinander.
»An meinem Stock!!« rief einer von den beiden Wohlgekleideten.
»Wird nicht halten«, meinte der Student.
»Na hören Sie mal, an dem dicken Knüppel?« Er wies ihn vor. Es war einer jener Spazierstöcke, wie sie eben damals in Brauch und Mode standen, eine Art kurzer Walze aus Rohr. Mit Hilfe eines herumgelegten Taschentuches paßte das Zwingenende hinlänglich fest in jenes Loch, durch welches an der Schädelbasis das Rückenmark austritt.
»Jetzt kriegt er noch ’n Turban!« rief der Mediziner und knotete sein seidenes Halstuch fest um die Schläfen des »alten Knaben«. Die Zigarre nahm man diesem fort. Es sah außerordentlich aus.
Conrad spürte plötzlich wieder die beim Eintreten empfundenen Gerüche, den verschütteten Fusel und den durchdringenden, dabei leicht fettigen Duft einer für ihn fremdartigen Pomade, Seife oder eines Parfüms. Überaus verwischt sah er an der vergangenen Möglichkeit entlang, daß er ja auch in einem anderen Abteil Platz hätte nehmen können, und in der Verlängerung dieses Gedankens zeigte sich sozusagen zwingend, daß diese Möglichkeit gar nicht unbedingt vergangen war. Er lachte plötzlich laut mit. Dabei tat ihm der Kopf weh; er empfand die Folgen des genossenen Getränks.
»Und wer – hält ihn hinaus?!«
»Ich!« rief Conrad sofort.
»Bravo, Benjamin«, sagte der eine von den jungen Herren. »Nun Ruhe von jetzt ab!« kommandierte er dann. »Eine gewisse Geisterstille muß den Akt vorbereiten. In zehn Minuten etwa kommt der Tunnel.«
Sie ließen dann das wegen der Schwüle ohnehin offene Fenster ganz herab.
Und plötzlich schloff der Zug dröhnend in den Schlauch, dessen Wände aus Rauch zu bestehen schienen. Auch der wie in Bändern oder Strähnen rasch vorbeisausende Stein machte sozusagen nicht mehr den Eindruck eines festen Körpers.
Conrad sprang auf und ergriff den Stock. Er bemerkte noch, daß hinter ihm der Mediziner das Abteil verließ und, von dem Mädchen sogleich gefolgt, auf den Gang hinaus verschwand, die Tür wieder zuschiebend.
Die beiden jungen Herren hatten sich erhoben: »Sehr vorsichtig sein, Benjamin! Ganz knapp an der Wand des Waggons entlangrücken, sonst kann’s ein Unglück geben!« sagte der eine von ihnen rasch und eindringlich an Conrads Ohr. Ungeheurer, schmetternder Lärm brandete aus der Finsternis beim Fenster herein. Conrad ergriff den Stock so, daß die Krücke herein wies: dann war nämlich des »alten Knaben« reizendes, beturbantes Antlitz in der richtigen Lage, zum Wagen gewendet. Da der Stock kurz und handlich war, ging alles ganz leicht. Man mußte sich kaum vorbeugen. Die beiden jungen Herren hielten Conrad zur größeren Sicherheit an den Schultern. Dieser sah durch einige Augenblicke ganz deutlich den Schädel vor dem Lichtviereck des benachbarten, ebenfalls offenen Fensters. Er glaubte jetzt einen kurzen Schrei zu hören – es klang etwa so, wie das Fallen und Zerspringen von Geschirr – und daraufhin zog er die Vorrichtung rasch ein, wurde sich aber im gleichen Augenblick dessen bewußt, daß hier allenthalben auch höhere und helle Geräusche wie tausend Teufel in der Luft wetterten, und daß er sich also wahrscheinlich getäuscht hatte. Nun setzte er den Stock ab.
»Hat sie nicht geschrien?« fragte Conrad die beiden.
»Nee. Das hätte man doch durch die Wand hören müssen. Zwar war der Lärm gewaltig, immerhin. Na, die hat wohl gar nicht hingesehen, unsere schönen Absichten wurden also vereitelt. Und nun sind wir längst draußen.«
Der tosende Lärm hatte aufgehört wie von einem ungeheuren, gaumig-weichen Mund nach rückwärts rasch verschluckt. Nun lief der Zug wieder in seinen weichen und schleifenden Geräuschen. Vom Gange trat der Mediziner ein mit dem Mädchen.
»Konntet ihr hineingucken?« fragte einer von den jungen
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