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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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ein.
    Von diesem Abend an, der gut und richtig verlief und von Conrad auch hintennach so gewertet wurde, hielt eine umfänglichere und ins einzelne gehende Vorstellung jenes alten Stadtviertels ihren Einzug bei ihm. Und wenn bisher diese Gegend lediglich als vorhanden gewußt war, mit dem älteren und dunkleren Stein ihrer gelegentlich und bedeutungslos erblickten Häuser, die so auf einem ganz kleinen Platze für Kokosch gestanden hatten, gleichsam zusammengedrückt: so erstreckte sich nunmehr dort ein in sich abgeschlossenes, vielfältiges Gefüge der Gäßchen, Tore, halb verhangenen Fenster, schmalen Treppen, alten Bogengänge und matt erleuchteten Zimmer, was alles sogar eine bestimmte Form des Behagens vermitteln konnte und worin wieder gewisse Wege bald bevorzugt, ja gewohnt wurden. Jedoch keineswegs durch Häufigkeit. Es ist in diesem Zusammenhange bezeichnend, daß Conrad nie in die Lage kam, einen so gerichteten Wunsch infolge etwa fehlenden Geldes sich verkneifen zu müssen: nicht etwa, weil sein anständiges Taschengeld so groß gewesen wäre. Sondern weil eben keineswegs jeder empfangene Geldschein sogleich einen in jene Richtung weisenden Kniff und Bug erhielt.
    So führte der junge Mann ein geordnetes Dasein, und zu Ostern begann denn auch das letzte Schuljahr.
    Was Albert Lehnder betrifft, so teilte Conrad diesem seine neuen Lebensgewohnheiten ohne weiteres mit. Lehnder erkundigte sich daraufhin genau nach den eingehaltenen Vorsichtsmaßnahmen, und als er Conrad hierin im Bilde und diese Sachen in Ordnung fand, ging er von da ab mit einer gewissen Geringschätzung und spöttischen Art über das Ganze hinweg.
    9
    Lehnder wurde für die nächsten und letzten Schulferien Conrads von Tante Berta – welche den jungen Mann bei einem Stadtbesuch in der Castiletzschen Wohnung kennengelernt hatte – aufs Land hinaus eingeladen und gleichzeitig von Lorenz Castiletz sozusagen als Erzieher und Hofmeister für Conrad dorthin verpflichtet: »Damit der Junge eine Ansprache hat und eine Leitung.« Im übrigen ging’s dabei auch gar sehr um das Bridgespiel. Der Vater liebte es, ebenso wie die Tante, Conrad spielte bereits recht gut – nur Frau Leontine erwies sich stets als gänzlich unfähig, es zu erlernen. So hatte man denn in Lehnder einen Vierten für die Sommermonate gesucht und gefunden.
    Tante Berta ihrerseits einen Zweiten. Auch Lehnder las viele Bücher und wußte erforderlichenfalls darüber so zu reden, wie es einer schöngeistigen Dame gefallen konnte. Und da sie malte, fing er auch damit an, und nun sah man die beiden, von rückwärts recht verschiedenen Formates, auf Feldstühlchen sitzen, sei’s nun, daß sie mit ihren kleinen Staffeleien eine Baumgruppe, eine alte Hütte, ein Bächlein mit Büschen oder sonst ein Objekt der Kunst sinnig belagerten. Lehnder, der im übrigen hier ernsthaft und sogar hartnäckig bei der Stange hielt, bewies mit ungelernter Hand doch einige Geschicklichkeit. Die Witze aber, welche Lorenz Castiletz recht bald riß, wenn er mit seiner Gattin allein war, bezogen sich zunächst hauptsächlich auf die ins Auge springende Verschiedenheit in der Belastung der beiden Feldstühlchen. Die Malerei selbst war im Hause heilig und hing – ihrem eigenen Begriffe hohnsprechend – voll naiver Scheußlichkeit an allen Wänden.
    Conrad hatte viel Zeit, herumzustehen, herumzusitzen, herumzuliegen und dabei schon beachtlich hübsch auszusehen. Die hohen schlanken Beine in den Kniestrümpfen, die kurzen Hosen von hellgrauem Tuche, die wie ein antikisches Röckchen bis in die halben Oberschenkel fielen, ein nachlässig offenes Hemd, das die Arme bloß ließ – solche Tracht, verbunden mit den gelockerten, katzenartigen Bewegungen des unter ständiger Leibesübung herangewachsenen Burschen, das alles verlieh der Erscheinung ein leicht Hingestrichenes, Hingewischtes – wie mit einem Meisterstift auf das Blatt geworfen, wenn Conrad etwa, den blauen Himmel hinter sich, über eine Hügelwelle herankam. Im übrigen: auch sein Gesicht hatte etwas von einer Katze, zumindest deren zärtlichen Reiz, mit den sehr großen Augen, die denen der Mutter ähnelten, und einem mitunter leicht erstaunten, aber immer liebenswürdigen und entgegenkommenden Wesen.
    Alles das nun pflegte Albert Lehnder seinem Schüler täglich zu sagen.
    »Du siehst gut aus heute.«
    »Beim Handballspiel sahst du famos aus.«
    »Streich das Haar nicht zu sehr aus der Stirne.«
    »Ein blaues Hemd steht dir am besten.«
    Er gab

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