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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Herren.
    »Nein. Die Vorhänge waren jetzt dicht zu, ohne Spalt. Scheint übrigens nicht gewirkt zu haben, da sich nichts rührte.« Er nahm den Schädel vom Stock herab und verschloß ihn im Reisekoffer.
    »Ich sagte es ja schon: sie hat nicht hingesehen. Lag vielleicht auf der Bank, mit dem Kopf zum Fenster, und las oder schlief. Aber Benjamin hat seine Sache famos gemacht. Also Pröstchen.«
    Sie tranken wieder. Jedoch schien der nicht geglückte Scherz den Punkt anzuzeigen, wo die Stimmung dieses verlängerten Abends ihre Höhe überschritten hatte, nachdem sie solchermaßen zur Entladung gekommen war. In der Fensterecke saß der Student neben seinem Mädchen, hielt die Hand vor den Mund und gähnte; so tat er mehrmals nacheinander, ohne eigentlich schläfrig auszusehen. Sein Gesicht war lang und hoch, weich und schwach, ein wenig feucht scheinbar von Schweiß an den herausgemagerten Backenknochen und an den Schläfen. Für einen Studenten sah er eigentlich schon recht alt aus, ein ganz richtiger erwachsener Mann mit allem, was da irgendwie als unbestimmte Aureole dazugehörte, nicht nur, wie Conrad, mit neuem Kragen und neuer Krawatte. Das hellblonde Mädchen neben dem Mediziner schien allzu dünn, wirkte jedoch überaus gutmütig mit ihren großen, dunklen Augen, die jetzt weit geöffnet waren und stark glänzten.
    Beim nächsten Anhalten des Zuges verabschiedete sich das Paar und stieg aus. Auch die beiden jungen Herren und Conrad waren bald am Ziele, dieser als letzter, noch lange vor Tag. Allein im Abteil, wäre er am Ende beinahe eingeschlafen und fuhr hoch, als der Zug schon auf einem Bahnhofe hielt, wo er umzusteigen hatte. –
    Diese dritte »selbstgemachte« Anekdote nun, die gar keine richtige geworden war, stand des längeren gleichsam aus Conrad hervor, sozusagen wie ein nur halb ins Holz geschlagener Nagel: aber es blieb daran niemand hängen, das heißt, es bot sich nie ein solcher passender Zusammenhang irgendeiner Unterhaltung, daß man sie hätte einstreuen können. Zudem, sie war nicht fertig geworden. Dies, und vielleicht eine immer damit verbundene, in irgendeiner Weise peinliche Erinnerung des Geruches, bereiteten ihr ein noch kümmerlicheres Schicksal als das der Geschichte von dem Kulmbacher Bierbrauer: sie wurde nämlich überhaupt nie erzählt.
    Bis auf ein einziges Mal, an einem kalten und trüben Herbsttage; Conrad wurmisierte in seiner Stube herum, hatte nichts zu tun und wollte auch nichts tun und bei nichts bleiben, und so war er recht in jener Verfassung, wo der Mensch auch nichts bei sich behalten kann und mag. Außer ihm befand sich nur der Vater daheim, in seinem Schreibzimmer drüben. Conrad ging – was gänzlich ungewöhnlich war – zu ihm. Er fand den Vater am Schreibtische, jedoch nicht bei der Arbeit, sondern in einem dünnen, gehefteten Buche lesend. Der Raum war sehr kühl, kaum geheizt, wie es der zum Schlagflusse neigende Mann liebte. Conrad drückte sich in einen Armsessel beim Schreibtisch und entbehrte, in einer gewissen Halbblindheit und Verranntheit, des nötigen Feingefühles, um der freundlichen Frage des Vaters, ob die Schularbeiten denn schon beendigt seien, zu entnehmen, daß er hier störe. Vielmehr brachte er jetzt seine Geschichte endlich an den Mann, und man kann sagen, durchaus an den unrichtigen. Denn Lorenz Castiletz, der, über die Platte des Tisches vorgebeugt, die Sache mit zunehmendem Ärger anhörte – welchen Ärger Conrad in der Luft spürte, aber hartnäckig nicht spüren wollte! – Lorenz Castiletz also wurde plötzlich, wenn auch nicht ebenholzschwarz, so doch aufs heftigste ungehalten: und er sagte seinem Söhnchen unter anderem mit recht lauter Stimme, daß er eigentlich jetzt noch und hintennach gute Lust spüre, ihm für eine solche dumme Büberei, die das größte Unheil hätte nach sich ziehen können, zwei saftige Ohrfeigen herunterzuhauen. Damit wies er seinen Sprößling aus dem Zimmer.
    Hiedurch wurde nun der hervorstehende Nagel mit einem einzigen Schlage bis ans Köpfchen ins Holz getrieben, ja eigentlich samt dem Köpfchen, so daß es bereits einer sorgfältig tastenden Hand bedurft hätte, um die Stelle zu finden, wo er einst eingeschlagen worden war: anders, Conrad vergaß diesen seinen ersten Versuch, die Romantik festere Formen annehmen zu lassen, gerne und bald, weil nun schon zu viel peinliches Erinnern sich damit verknüpfte.
    8
    Rückfälle aus dem aufrechten Gang gab es noch während der ersten zwei Sommerferien nach

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