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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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dem Übertritte in die Handelsschule. Jedoch selten mehr erleuchteten sich die Tatsächlichkeiten und zwingenden Notwendigkeiten der Knabenwelt wieder von innen, so daß man etwa tagelang bloßfüßig, schmutzhändig und auf allen vieren beim Bache kroch, um diesen mit Brettern, Steinen, Moos und Schlick zu stauen. Stand ein solch künstlicher See dann tief und lang und schon geklärt am nächsten Tage, so war das wie ein neuentdecktes Land und erobertes Gebiet. Conrad wurde dringend eines Schiffes bedürftig, er lief ins Haus: und tatsächlich fand sich noch eines aus der vorlängst mit Sorgfalt gehüteten Flotte, sogar in recht gutem Stande, auf einem der großen Kasten Tante Bertas, wo diese den Dampfer hinter Einsiedegläsern auf bewahrt hatte. Nun holte sie ihn zu Conrads grenzenloser Freude hervor.
    Jedoch war bei diesen Spielen vielleicht schon eine leise, verabschiedende Wehmut und eine gewisse Kenntnis des Idylls, in welches man sich da zurückbegeben hatte. Conrad empfand das einen Augenblick lang sogar recht deutlich, während das Schiff, mit laufendem Uhrwerk, den Weiher tüchtig stromauf glitt, vom roten Kiele links und rechts zarte Furchen wegstrahlend. Der markigeren Art eines Knaben sind derlei Seitenblicke und Seitengefühle fremd.
    Aber auch sie waren noch einmal wie weggeblasen durch eine plötzliche und große Überraschung.
    Am Grunde des klaren Wassers saß ein Krebs.
    Das hier seltene, ja fast ganz verschwundene Tier mußte wohl aus dem flachen Bächlein bedachtsam in die neue Tiefe eingewandert sein. Oft schon hatte Conrad nach Krebsen geforscht, die es einstmals hier gegeben haben sollte – wenigstens sagte das der alte Gärtner. Aber alle tastenden Griffe unter Steinen und Wurzeln des Ufers hatten am Ende nur immer die eigene Hand naß und erdig wieder hervorgebracht, nie aber jenes seltsame schalige und scherige Leben antreffen können. Der Bach schien tot und leer in dieser Hinsicht.
    Darum hielt Conrad auch, was er da sah – und nur dadurch sah, daß auf den Grund des Wassers das Schiffchen jetzt seinen Schatten gerade an der fraglichen Stelle warf, jene solchermaßen vom Widerblinken des Himmels trennend und mit Sand und Kieseln sichtbar machend – darum also hielt Conrad das Gebild zunächst für eine irreführende Zusammenfügung des bräunlichen Steingeschiebes. Und so griff ihm – nach den vielen in solcher Weise schon erlebten Enttäuschungen! – die Sache keineswegs gleich ans Herz.
    Jedoch, am Bauche liegend, das Gesicht knapp über des Wassers Spiegel, mit einem Stäbchen vorsichtig tastend – da war’s plötzlich außer Zweifel, denn der Bursche tat mittels Schwanzschlages jetzt einen Satz nach rückwärts, fast bis ans flache obere Ende des Weihers. Von dort war die brave ›Minnesota‹ – so hieß der Dampfer – deren Uhrwerk längst abgelaufen, inzwischen sachte mit der gelinden Strömung zurückgeschwoit und hatte, da ihr keine Beachtung zuteil wurde, derweil einmal sich »dwars« gelegt und längsseits am Stauwerk, wie an einer Kaimauer, festgemacht.
    Conrad aber, klopfenden Herzens sich rasch erhebend, faßte sorgfältig den Stand am Ufer, gelangte mit einem Spreizschritte gerade über jene Stelle, wo der Vergrämte und Gestörte recht mürrisch saß – und nun hob er diesen, zwei Finger von rückwärts zart am Kopf-Brust-Schild ansetzend, aus dem Wasser. Ein vergeblicher Schlag des Schwanzes, daß die Tropfen flogen, und dann ein langsames und widerstrebiges Herumtasten mit Beinchen und ausgestreckten offenen Scheren in der Luft, welche Waffen aber keinen Gegner zu fassen kriegten – so war die Erscheinung des seltenen Ankömmlings an der luftigen Oberwelt.
    Conrad setzte ihn zunächst ins Gras und in den Schatten eines Strauches, der hier stand. Es war ein beträchtlich großes Stück, und somit, wie Kokosch wohl wußte, an die fünfundzwanzig bis dreißig Jahre alt. Den Knaben streifte diese Vorstellung einen Augenblick lang in verwunderlicher Weise. Der Krebs blieb zuerst reglos, aber bald machte er sich auf die Beine, und auf diesen seltsam hoch einherstelzend, wanderte er gegen den Rand des Wassers zu. Conrad störte ihn nicht. Das Tier stieg umständlich ins Wasser, jetzt tauchte es ein, schon ward das Kopf-Brust-Stück bedeckt, nun konnte man sein Dahinwandern noch am Grunde sehen, dann entzog es die Widerspiegelung des Himmels dem Blick.
    Conrad blieb bewegungslos neben dem Gesträuch im Grase sitzen. Jetzt, in der Stille, hörte er plötzlich das

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