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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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83« verlangte und endlich: »Kann ich Herrn von Hohenlocher sprechen?«
    Jetzt klang es voller und menschlicher aus der Muschel, der alte Veik begann plötzlich laut zu lachen: sein Gesprächspartner dort drüben hatte offenbar etwas Lustiges gesagt.
    »Also, verehrter Herr von Hohenlocher, jener junge Herr, von dem ich Ihnen übrigens neulich schon gesprochen habe, der bei mir volontieren wird, er ist nun da. Jedoch wird er nicht bei seiner Tante wohnen, sondern denkt an eine kleine Wohnung . . .«
    Man hörte einige Worte von drüben, der alte Veik lachte neuerlich los. »Wie?!« rief er in den Apparat, »wie war das? ›Wer sich in Familie begibt, kommt darin um‹? Wunderschön! Geben Sie nur acht, Herr von Hohenlocher, daß es Ihnen nicht doch noch mal passiert! Na ja. Nun, ich möchte, daß sich Herr Conrad Castiletz das bei Ihnen dort ansieht. . .«
    Jetzt schien dieser Herr von Hohenlocher von Stelle 83 der Finanz-Landesdirektion sich etwas länger vernehmen zu lassen. Dann wieder der alte Veik:
    »Also prächtig. Ich schicke ihn um vier Uhr. Verbindlichen Dank. . .« Er legte auf, wählte aber neuerlich eine Nummer.
    Es war offenbar eine Dame, was sich da, erwürgt durch den Draht, aus der Muschel meldete.
    »Manon?!« rief Herr Veik in den Apparat, »du bist es selbst, wie herrlich, wie geht’s dir denn, Liebling. . .? Ja? Du, denke mal, ich werde heute einen Gast mitbringen. Den jungen Castiletz. Er ist gestern gekommen ... ja, ein Riesenjunge. Auf Wiedersehen also bei Tische, Liebling.«
    »Es tut mir leid, Herr Castiletz«, so wandte sich jetzt der Kommerzienrat zu Conrad, »daß ich Sie heute morgen, als Sie anklingelten, erst für halb zwölf hierherbitten konnte; wir haben heute morgens einige neuaufgestellte Maschinen – Jacquardmaschinen – zum ersten Male laufen lassen, da wollte ich persönlich anwesend sein, hiedurch blieb dann die Post ein wenig liegen; und für halb elf hatte ich schon Herrn Direktor Eisenmann von drüben vorgemerkt, der für ein kurzes herüberfahren wollte. Ich hoffe, daß Sie indessen mit Besichtigung unserer Stadt hier die Zeit angenehm verbracht haben . . .?«
    Er sprach von einigen Sehenswürdigkeiten. Und Conrad hatte sie tatsächlich in Augenschein genommen. Zum Teil übrigens schon damals vor Jahren ... ja, dort hinten in der Ferne der Zeiten, beim ersten romantischen Vorstoße in ein sozusagen erwachsenes Leben.
    »Ja, und hier«, sagte der alte Veik munter, »da werden Sie einfach hineinspringen. Hineinspringen und einspringen, wo es Ihnen beliebt, ich lasse Ihnen da für den Anfang gerne ganz freie Hand. Stellen Sie sich an einen Stuhl und weben Sie, wenn’s Ihnen Freude macht, oder lösen Sie einen Mann an den Musterwebstühlen ab, oder knüpfen Sie an, oder setzen Sie sich hier im Büro zum Diktat hinter eine Schreibmaschine, oder hinter einen Rechenapparat. Bei der Auslandskorrespondenz werde ich Sie auf jeden Fall heranziehen, da werden wir viel miteinander machen – da sehen Sie, dieser Schreibtisch ist verwaist, da saß vor einem halben Jahr noch mein verehrter Freund, der Prokurist Schröder, nun hat ihn der Himmel.«
    Er sah durch einige Augenblicke nachdenklich auf den geschlossenen Rolladen des zweiten Arbeitstisches und schwieg. Aber gleich war die frühere Munterkeit wieder im Vordergrunde.
    »Ihr Vater sagte mir, Sie seien ein trefflicher Engländer und Franzose, sogar im Holländischen beschlagen ... Ja?! Das ist ausgezeichnet; pflegen Sie solche Kenntnisse, sie sind beinahe unschätzbar. In dieser Richtung werde ich Sie beanspruchen müssen. Und morgen früh soll’s also losgehen, um sieben!«
    Er streckte Conrad impulsiv die Hand hin und dieser schlug ein.
    »Sie haben bei uns hier den ganzen Produktionsprozeß vor Augen, von den Spulen bis zum fertigen Gewebe, mit Ausnahme der Färberei. Wir lassen auswärts im Lohn färben...«
    Das letzte hörte Conrad gerne. Jener große niedere Saal zu Reutlingen, wohin man gelangte, wenn man rechter Hand aus dem Schulgebäude wieder heraustrat und am Kesselhause vorbeiging, war ihm ein angenehmer Aufenthalt nie gewesen: der süßliche und warme, dabei stumpfe und wenig ausgesprochene Geruch, welcher hier im Färbereisaale um Maschinen und Apparate stand, das Fehlen des kraftvollen Schlagens der hin und her geschossenen Schützen oder des Surrens der Spindeln, diese verhältnismäßige Stille, die im faden Geruche schwamm – er freute sich, dies alles hier nicht wieder zu finden.
    »Sieh da, nun wird’s

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