Ein Mord den jeder begeht
Antlitz, seit der öffentlichen Verlobung. Man möchte sagen, sie war – behaupteter, wenn dies nun nicht solch ein ekelhafter Börsenausdruck wäre.
Sie war in Rechte eingetreten und mindestens so sehr wie Conrad. Ihre Rechte saßen unter der sehr reinen weißen Stirn, dort, wo die Nasenwurzel verhältnismäßig tief einsprang. Von da strahlten sie aus, als eine Art Erwartung oder Forderung, die jeder spüren konnte, der Marion ansprach. Sie war Braut.
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Nur so, indem er ständig um Marianne war, sie immer vor sich sah, den Hals, Hand und Unterarm, die Spannung des Kleids, das Bein mit der stark eingezogenen Fessel, nur so glaubte Conrad jetzt, seltsamerweise, die durch den Trauerfall verlängerte Wartezeit einigermaßen ausfüllen und überdauern zu können. Und längst auf der Hochzeitsreise war es, zu Bologna, daß er, nun eigentlich ganz erstmalig, die Beziehung und Ähnlichkeit entdeckte, die zwischen Marianne und Louison in den Antlitzen bestand, und von der Hohenlocher gleich zu Anfang als von einer unschwer zu erkennenden gesprochen hatte.
Seine Frau schlief neben ihm, und das Licht brannte. Sie lag ihm zugewandt, eine Armlänge etwa von ihm entfernt, die eine Wange an das Kissen gedrückt, an welchem sie im Schlafe ein wenig heruntergerückt war: und hiedurch drängte die Backe zart hinauf gegen das Auge. Dies aber erkannte er jetzt sozusagen auch an der anderen, freien, unveränderten Wange wieder, da die Übertreibung seinen Blick geöffnet hatte. Nun erst erlebte er eigentlich – und das traf ihn wie ein Pfeil von der Zimmerdecke – daß hier Louisons Schwester schlief. In die Stille tönte vom Bahnhofe herüber, in dessen Nähe dieses große Hotel lag, ein langgezogener Pfiff und erstarb. Conrad sah sein Knabenzimmer vor sich, wie es einst gewesen – nicht wie er’s jetzt wieder angetroffen hatte. Gerne hätte er Marianne geweckt.
Es war eine rechte Hochzeitsreise. Unter dem hohen blauen Himmel spannte sich ein zweiter, unsichtbarer, glasheller, bis zum Zerreißen, und schloß das Paar ein. Im Zuge sitzend, der von Bologna über den Apennin nach Florenz fuhr, bekamen sie die Hitze gemischt mit Streifen und Fahnen der frischen Bergluft durch den im Winde schlagenden Sonnenvorhang herein, und dann drehte sich unten die Ebene ins hohe Bild, darin – gedrängt, beisammen, als eine richtige Stadt am großen Fenster der offenen Ferne – Pistoja lag.
Des Abends, wenn sie beim Essen die Kelche hoben und sich in die Augen sahen, funkelte Mariannes Blick. Sie ging vor ihm die Treppen hinauf, schnell und bestimmt. Schon vor der ersten Nacht war sie so gegangen. Zu Florenz, als sie den lustigen ›Zug der heiligen drei Könige‹ des Benozzo Gozzoli angesehen hatten, in dem viereckigen kleinen abgeschlossenen Raume fast ohne Licht, worin der Bediente in der Mitte eine starke Lampe hochhielt am langen Kabel, damit man alle Figuren und Figürchen sehen könne – damals hatte Conrad nachher gesagt: »Dieses Zimmer sieht aus, als wäre es einst ein Brautgemach gewesen.« Ihre Fingerspitzen, die weich und leicht an den seinen gelegen waren, während sie den Palast verließen, preßten jetzt seine Hand, ihr Kreuz wurde hohl, und sie schüttelte sich durch eine Sekunde wie in einem Schauer.
Die große und bis in die letzte Einzelheit fertige Wohnung, in welche das Paar nach der Rückkehr einzog, lag gar nicht weit von Conrads bisherigem Quartiere, nämlich in jener Straße, die neben dem Park gegen die Hans-Hayde-Straße zu herauslief. Dort im Eckhause bewohnte das Ehepaar Castiletz jetzt das ganze zweite Stockwerk, dessen Fenster sich zum Teil in die Hans-Hayde-Straße, zum Teil gegen die Weißenbornstraße und den Park öffneten. In der Weißenbornstraße hatte das Haus seinen Eingang mit Nummer 17. Unten gab es eine Garage, worin Mariannens Wagen stand, den sie aber nicht selbst fuhr. Sie hielt einen Chauffeur.
Herr von Hohenlocher rieb eine Art feierlichen Salamander mit Gin (ohnehin das vernünftigste Getränk), als Conrad seine letzten noch hier verbliebenen Sachen wegbringen ließ, und zwar durch die Schubert, welche – zu plaudern getraute sie sich nicht – sozusagen aus allen Fältchen und Poren unaufhörliche freudige Zustimmung absonderte, weil da geheiratet worden war. Der Jagdhund stand beim Räumen vornehmlich im Wege herum, und zwar im seidenen Hausanzug samt Schnur, die Flasche unter dem Arm, das Glas in der Hand, da man hier und jetzt nirgends mit vollkommener Sicherheit was hinstellen
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