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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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klärt. Eben als er in seine Zimmer trat und Licht machte und es hier warm fand und den Füllofen im Gange – da schien ihm vorübergehend ganz klar zu sein, daß Hohenlocher sich wieder einmal hatte belustigen wollen, diesmal über die »Wichtigtuerei der Techniker« (was er unlängst sogar selbst gesagt hatte!) und vielleicht auch über Conrads bereitwilliges und anpassungsfreudiges Eingehen auf diesen »Fall«. Bei aller rührenden Unwissenheit in technischen Dingen, auf die manche Leute Wert zu legen schienen, war diese Sache mit der Glocke denn doch unglaubhaft. Nein, Hohenlocher züchtete überhaupt Launen und Anwandlungen; mit Vorliebe aber und obendrein seltsame Menschen, die er dann in ihren Sonderbarkeiten noch bestärkte ... da war zum Beispiel Lissenbrech. Hohenlocher lobte ihn. Nur weil er durch ihn belustigt wurde . . .
    »Jedenfalls lege ich keinen Wert auf einen Platz in seiner Kakteensammlung«, dachte Conrad deutlich und in diesen Worten. Er stand in der Mitte des Zimmers am Tische und freute sich über die Helligkeit und Schärfe seines inneren Sprechens ganz in der gleichen Weise, wie jemand bei einer Leibesübung sich an der eigenen Bewegung erfreut. Indessen, noch während er hier stand und bevor er seine Hausschuhe anzog – was Conrad nun eigentlich tun wollte – drang diese innere Helligkeit ein wenig weiter hinaus und nach allen Seiten in den Raum seines gegenwärtigen Lebens, klimperte an den und jenen Vorstellungen, von welchen diese erleuchtete große Höhlung erfüllt war; draußen herum lag es noch wie ein Hof, jenseits des mit benennbaren Dingen oder Angelegenheiten verstellten Raumes . . . Und, ihm viel näher, verbarg sich hinter der, hinter jener Wand eine noch in die Zukunft gestreckte Gewißheit: daß er Marianne besitzen würde. Durch Sekunden mit dieser Vorstellung allein gelassen – vor der alle anderen Gedanken die Flucht ergriffen – mußte er sie doch alsbald dämpfen, und dabei erwies sich seine Selbsterhaltung als wach! Bei der eiligen Suche jetzt nach anderer Nahrung des Geistes stieß er endlich auf den springenden Punkt, welchen er vergessen und der ihm gleichwohl die ganze Zeit hindurch Unruhe gemacht hatte:
    Die Färberei. Er wußt’ es ja, daß etwas sich nicht ganz in Ordnung befand!
    Man hörte, wie draußen die Schubert ihren Schlüssel ins Schloß schob, um Castiletz, wie gewöhnlich um diese Zeit, den Kaffee zu bringen. Heute war es sogar viel früher. Sie hatte wohl bemerkt, daß er schon nach Hause gekommen war.
    »Bitte, Frau Schubert, geben Sie dann den gelben Koffer dort oben vom Kasten herunter.«
    Und wie das Mäuslein ihn einst hinaufgestupst, so angelte es ihn jetzt, auf einen Stuhl steigend, mit einiger Mühe herab.
    Castiletz wollte sich, als die Schubert wieder gegangen war, mit der Zeitung niederlassen; aber hinter der behaglichen Schanze dieser einst empfohlenen und heute längst selbstverständlichen Beschäftigung sich festzusetzen, war nicht möglich. Conrad wurde von dort abgedrängt. Er trat sogleich zu dem Koffer und öffnete ihn. Alles bot sich bequem dar, denn die Schubert hatte das schöne Gepäckstück griffbereit auf einen Sessel gestellt; und Conrad hätte es auch gleich wieder schließen können – des Doktor Zänker ›Färberei‹ lag obenauf, ebenso die ›Chemische Bearbeitung der Schafwolle‹ – nachdem er die Bücher herausgenommen. Sie wogen ihm ein wenig schwer in der Hand. Diese Textilchemie, freilich eine Wissenschaft für sich, war seine schwächste Seite. Im Gespräch hieß es da vorsichtig sein, sich keine Blöße geben, jedenfalls aber die Kenntnisse auffrischen, sich vorbereiten . . . nun, er legte ›Die Färberei‹ mit dem anderen Buche auf den Tisch, trat wieder an den Koffer und sah hinein.
    Obwohl er darin ja nichts mehr zu suchen hatte. Er verweilte hier nur durch einige jener scheinbar leeren Augenblicke, in denen sich Körper und Geist des Menschen völlig vermischen, während man mit gebreiteten Schwingen regungslos über weiß Gott was für verlassenen Tälern und Klüften des Vergangenen schwebt. Ohne Absicht, nur mit der Hand, die keinerlei Entschluß lenkte, die Bücher vermeidend, welche ihr augenblicklich zu gewichtig waren, lüpfte er den Gummizug der Tasche von gefälteltem Atlas am inneren Deckel, bemerkte hier ein blaues Heft und zog es heraus.
    Zunächst sah er, daß etwas schräg hervorstand. Es war eine Bilderkarte. Längst versunkene Splitter aus irgendeiner früheren Zeit, und seien’s

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