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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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der Kleidung, fast als hätte er am vorhergehenden Abende vergessen, sich auszuziehen. In der wissenschaftlichen Welt besaß er kein geringes Ansehen. Seine Art zu sprechen ging über die des Herrn von Hohenlocher noch weit hinaus, wenn man so sagen darf: denn bei dem Doktor hatte man nachgerade den Eindruck, daß er die Sätze nur ganz zufällig verlor, und zwar in des Wortes genauester Bedeutung verlor, nämlich so wie einem etwa Streichhölzer aus der Hosentasche fallen.
    Diesmal, als Castiletz nach dem Abendessen um 9 Uhr in die Hans-Hayde-Straße 5 kam, lehnte am Kamin in dem großen Zimmer ein vierter Herr, welchen er noch nie gesehen hatte und der sich als Oberkommissar Doktor Inkrat vom hiesigen Präsidium bekannt machte. Herr von Hohenlocher hatte Inkrat unter der zoologischen Bezeichnung ›Varanus aridus Inkrat‹ in seine Sammlung eingereiht, und tatsächlich eignete dem Manne irgendwas Reptilisches und Trockenes. Diese menschlich-unmenschliche Besonderheit fand, wenn man genauer zusah, darin ihren Ausdruck, daß – alles nicht durchaus Unentbehrliche an seinem Kopf fehlte, etwa die Augenbrauen und Wimpern fast ganz, ebenso der größte Teil des Haupthaars. Der Blick wirkte wie aus lidlosen Augen, und das zeitweise Erscheinen einer richtigen »Nickhaut« hätte in dieses Antlitz vollständig gepaßt. Das Haupt, welches länglich, ja birnenförmig war, wurde fast nie bewegt, und ebenso vermied der hochgewachsene und breitschultrige Körper jede unnötige Veränderung seiner Stellung. Unter den Kleidern schienen harte Muskeln zu ruhen. Auch die Sprache war sparsam und mager, also reptiloid-trocken, wenn man will. Sie schien noch niemals durch irgendwelches Gefühlsleben in Unordnung oder Umordnung geraten zu sein.
    ›Varanus aridus‹ hatte nach der Begrüßung sogleich wieder seine frühere Stellung am Kamine bezogen. Über einen Teil der Ottomane – wo das Tischchen mit den Getränken stand – erstreckte sich der Doktor Velten, lässig da und dorthin verteilt, während der Baurat in mehr kugelig-hämsterlicher Art gesammelt in sich selber ruhte. Er saß vorgebeugt am Rande des Ruhebettes, die Arme auf den Knien. Es gab heute noch einen zweiten Tisch mit Flaschen, an welchem Hohenlocher jetzt im Hintergrunde des Raumes herumhantierte.
    »Trinken Sie«, sagte er zu Conrad, »Sie werden nämlich gleich geprüft; Sie müssen ja noch was wissen, weil Sie noch nicht so lange den Schulen entlaufen sind wie wir.«
    »Nur keine Frage aus Färberei oder Textilchemie«, sagte Castiletz und kippte das flache bläuliche Glas; dieser Gin da schmeckte ihm ganz ausgezeichnet. Herr von Hohenlocher schenkte neuerdings ein.
    »Nein, Sie werden aus Geschichte geprüft«, sagte er dann.
    »Die Schulen durchlaufen, den Schulen entlaufen – glücklich allein ist die Seele, die liebt«, sagte Doktor Velten.
    »Erlauben Sie – aber was wollen Sie damit sagen?« fragte Herr von Hohenlocher.
    »Nichts«, sagte Velten.
    »Dann ist es gut«, erwiderte Hohenlocher. »Nun zu Ihnen, Herr Castiletz: was wissen Sie über die spanische Inquisition?«
    »Ja . . .«, sagte Conrad, »da wurde verbrannt. . .«
    »Soll bei anderen Anlässen auch vorgekommen sein«, tönte es vom Kamine.
    »Ungenügend«, stellte der Baurat fest.
    »Setzen Sie sich«, sagte Herr von Hohenlocher zu Castiletz.
    »Wir sprachen davon . . .«, bemerkte der Baurat, zu Conrad gewandt. »Aber – was mich am meisten an der ganzen Geschichte interessieren würde«, fuhr er fort, »wäre die Frage: woher kommt uns eigentlich eine genaue und von Fabeleien freie Kenntnis der inneren Einrichtungen und Einzelheiten dieses fürchterlichen Institutes?«
    Solcher Quellenfrage gegenüber herrschte durch einige Augenblicke allgemeines Schweigen. Es war schon ein Weilchen vergangen, als eine unbewegte Stimme vom Kamine her endlich sagte:
    »Der letzte Generalsekretär der Inquisition, schon im 19. Jahrhundert, war ein gewisser Llorrente. Dieser Mann war dem Institut gegenüber feindlich eingestellt. Das gesamte Material ist ihm zugänglich gewesen, und er hat später, nach Aufhebung der Inquisition in Spanien, eine aktenmäßige Geschichte derselben in mehreren Bänden veröffentlicht. Daher vornehmlich unsere Kenntnis.«
    Sein Mund schloß sich nach getaner Aussage wie ein Briefkasten, breit, jedoch fast ohne Lippen.
    »Das Wissen als Katastrophe«, sagte Doktor Velten; eigentlich dachte er laut und verlor dabei versehentlich einige Worte.
    »Ja – woher wissen Sie denn das

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