Ein Mord den jeder begeht
alles?« sagte der Baurat mit einem Staunen, das offenstand wie ein Kindermund.
»Ich beabsichtigte einmal, eine Geschichte der Geheimpolizei aller Zeiten und Länder zu schreiben. Hierher gehört auch die Inquisition als eine Art Polizei mit dogmatischem Oberbegriff. In diesem Zusammenhang las ich Llorrentes Werk.«
»Das wäre ja ein ganz unerhört interessantes Buch geworden!« rief der Baurat. »Noch dazu von einem Polizeifachmann! Werden Sie es nicht beenden?«
»Ich habe es nie begonnen. Es bestand nur einst bei mir diese Absicht.«
Conrad biß jetzt auf das angeschlagene Thema. Ein Hauch jener Romantik, die er vorlängst hier empfunden hatte, in diesem selben Raume, berührte ihn – und auch heute, als an einem noch kühlen Frühjahrsabend, glühte ja hinter dem Ofengitter der Koks (von Frau Schubert durchgerüttelt), lag das große Zimmer unter dem warmen und gedämpften Licht der bunten Lampe über dem Diwan.
»Immer habe ich es mir schauderhaft vorgestellt, in einer Zeit wie jener damaligen zu leben, in Spanien nämlich, als es dort die Inquisition gab«, sagte Conrad. »Der geringste Verdacht oder irgendeine Angeberei genügte ja, um das Entsetzlichste herbeizuführen. Wie konnte man damals überhaupt seines Lebens froh werden, oder sich mit irgend etwas beschäftigen . . .«
Bei diesen letzten Worten dachte Castiletz unvermittelt an Günther Ligharts, an das einstmalige Knabenzimmer und das Gefäß mit den schwarzen Molchen oben auf dem Kasten – jedoch streifte ihn diese Vorstellung so rasch, zwischendurch und gleitend, daß er nicht einmal dazu kam, sich zu verwundern.
»Was an Schrecken oder Großartigkeiten von einer Zeit im Menschengedenken übriggeblieben und auf uns gekommen ist, sehen wir durch die weite Perspektive gleichsam zusammengedrängt. Damals war es verteilt und schwamm in der Flut einer ganzen Zeitstimmung, ja, es befand sich vielfach fast in der Schwebe des beinahe Selbstverständlichen. Wenn ich ein wenig nur übertreiben würde, der Deutlichkeit halber, dann könnte ich mir vorstellen, daß von der Inquisition die meisten so wenig was bemerkt haben dürften wie die Zeitgenossen der sogenannten ›Renaissance‹ von der großen Kunstepoche in Italien.«
Der Briefkasten schloß sich nach dieser Rede.
»Zudem hat die Inquisition in Spanien sich überwiegend gegen die Reichen und Vornehmen gewendet«, bemerkte der Baurat. »Also gegen einen kleinen Kreis von Menschen.«
»Wegen der Gütereinziehung. In südlichen Ländern ist zudem gutes Brennholz kostspielig. Die Rentabilität spielte vielleicht eine gewisse Rolle dabei«, sagte Herr von Hohenlocher.
»Ich wüßte schon ein paar Leute, die man rentabel verbrennen lassen sollte«, meinte der Doktor Velten. »Auch unter meinen Patienten. Sehr dürre Schizoide. Man könnte mit denen sogar einheizen, wenn man sie klein macht.«
»Ein guter Arzt muß ein guter Mensch sein«, zitierte der Baurat, immer noch kugelig-hämsterlich am Rande der Ottomane sitzend; er lachte in sich hinein und wackelte dabei ein wenig.
Conrad drängte zu romantischeren Auffassungen, welche man ihm hier störte. »Es hat doch auch in neuerer Zeit solche Dinge gegeben«, sagte er. »Denken Sie an die berühmte ›Dritte Abteilung‹ der kaiserlich russischen Polizei, die sogenannte ›Ochrana‹. Ich habe einmal einen Roman darüber gelesen, der in Petersburg spielte.«
»Nun gut«, sagte Doktor Inkrat. »Die mag vielleicht besonders bekannt geworden sein, wegen der außerordentlichen Verhältnisse. Aber Sie vergessen ganz, daß es überall auf der Welt eine Geheimpolizei gibt und geben muß.«
»Eigentlich eine merkwürdige Vorstellung; daß man zum Beispiel durch irgendeinen ganz nebensächlichen und dummen kleinen Umstand sich verdächtig gemacht hätte und als harmloser Mensch nun ständig beobachtet und überwacht würde.« Conrad entzündete sein eigenes Interesse mit Behagen, etwa wie man in ein Feuerchen bläst.
»Na, das brauchte wohl niemandem Unruhe zu machen«, sagte in reptilischer Unbeweglichkeit leichthin der Fachmann. »Wir wissen es nicht und wir erfahren es auch glücklicherweise nie, was rundum alles sich oft gegen uns in Bewegung setzt und dann irgendwo stecken bleibt, ohne jemals zu unserer Kenntnis zu gelangen. Anders könnte man ja keine Nacht ruhig schlafen, sondern würde die Stunden damit verbringen, ein gespaltenes Haar noch einmal zu spalten, um am Ende als Patient beim Doktor Velten etwa eingeheizt zu werden. Nein, da bin
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