Ein Mord von bessrer Qualität: Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross (German Edition)
nahm es gleichgültig entgegen. Es war ihm egal, ob ich mit ihm fühlte oder nicht. Seine eigene Trauer war ihm genug.
»Mrs. Benedict war von italienischer Herkunft?«, erkundigte ich mich.
Er neigte bejahend den Kopf. »Gut. Wenn Sie feststellen, dass es in diesem Haus zahlreiche Gemälde gibt, dann liegt es daran, dass ich mit Bildern handele, wie Sie zweifelsohne bereits wissen, Inspector. Ich besitze eine Galerie nahe der Piccadilly, auf der Südseite, ganz in der Nähe …« Er unterbrach sich, stockte, riss sich zusammen und fuhr fort: »… ganz in der Nähe des Green Park.«
»Waren Sie am vergangenen Samstag in Ihrer Galerie?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich fahre am Wochenende niemals in die Stadt. Die meisten meiner Kunden fahren freitagabends hinaus aufs Land, wenn Sie verstehen?«
»In ihre Villen und Landhäuser?«
»Ganz recht«, sagte er einfach.
»Aber die Galerie ist samstags dennoch geöffnet?«
»Ja. Ich habe einen exzellenten Geschäftsführer, George Angelis. Er ist jeden Samstag bis sechs Uhr abends dort. Hernach ist die Galerie geschlossen, bis zum darauffolgenden Dienstag.«
Also hatte er montags Ruhetag. Seine Kunden hingegen waren montags bereits wieder aus ihren Wochenendhäusern zurück und in der Stadt. Ich nahm mein Notizbuch hervor und schrieb auf, dass die Galerie samstags um achtzehn Uhr schloss.
»Darf ich erfahren, wie Sie Ihre verstorbene Frau kennengelernt haben, Sir?«
Er hob die Augenbrauen angesichts dieser seiner Meinung nach offensichtlich unpassenden Frage, trotzdem antwortete er ohne weitere Umstände. »Selbstverständlich. Wir sind uns in Italien zum ersten Mal begegnet. Ich fahre jedes Jahr auf den Kontinent, auf der Suche nach neuen und interessanten Werken für die Galerie. Außerdem liebe ich das Land. Ich war als junger Mann zum ersten Mal dort, fast noch als Knabe. Die übliche Europa-Rundreise, Sie wissen schon.«
Ich wusste, dass diese »übliche« Europa-Rundreise bei den Reichen eine Art Tradition war. Junge Männer wurden zum Abschluss ihrer Erziehung auf den Kontinent geschickt, meist mit einem Tutor im Schlepptau, der ein Auge auf sie halten sollte. Junge Männer meiner Herkunft hingegen verdienten sich in diesem Alter längst ihren Lebensunterhalt selbst und taten dies bereits seit Kindesbeinen an.
»Der Vater meiner Frau, leider inzwischen verstorben, war ebenfalls im Kunstgeschäft tätig«, berichtete Benedict weiter. »Ich besuchte ihn regelmäßig, wenn ich in Italien war, und wurde ein Freund der Familie. Als ich meine Frau kennenlernte, war sie fast noch ein Kind, gerade vierzehn Jahre alt. Sie war exquisit … wunderschön, aufgeweckt, voller Leben und Lachen, intelligent … Sie zu sehen hieß, sie vergöttern.«
Er starrte auf das Porträt und verstummte.
»War das ihr Alter, als dieses Bild gemalt wurde?«, fragte ich.
Benedict hob den Kopf und sah mich an, als hätte er vergessen, wer ich war. »Oh«, sagte er schließlich. »Nein, da war sie schon ein wenig älter. Fünfzehn, glaube ich.«
»Vergeben Sie mir, Sir, aber ich muss diese zudringlichen Fragen stellen. Wie alt war Ihre Frau, als Sie geheiratet haben?«
»Achtzehn.« Benedict lächelte ironisch. »Ich kann sehen, was Sie denken, Inspector. Ja, ich bin … ich war beträchtlich älter als meine Frau. Fünfzehn Jahre, genau genommen.«
Also war Allegras zukünftiger Ehemann bereits dreißig Jahre alt gewesen, als das Porträt entstanden war. War es auf seine Bitte hin angefertigt worden?
»Wann, wenn ich fragen darf, haben Sie das Bild erworben?«
Er hob erneut die Augenbrauen, und als er diesmal antwortete, schwang eine Spur von Ungeduld in seiner Stimme mit. »Es wurde für mich gemalt. Ich hatte bereits mit ihrem Vater gesprochen. Er war einverstanden mit unserer Heirat, sobald seine Tochter achtzehn Jahre alt geworden war. Bis dahin musste ich mich mit dem Besitz eines Bildnisses in Öl begnügen anstelle der Porträtierten.«
Ich fragte mich, ob die fünfzehnjährige Allegra genauso enthusiastisch auf die Aussicht eines doppelt so alten Ehemannes reagiert hatte. In mir entstand ein gewisses Unbehagen angesichts der Wortwahl von Benedict. »Vergöttern« anstatt »lieben« beispielsweise. Vielleicht bedeutete das alles dasselbe, vielleicht aber auch nicht. »Besitz eines Bildnisses anstelle der Porträtierten« … All das störte mich irgendwie.
»Darf ich Ihnen eine Gegenfrage stellen, Inspector?« Benedicts Stimme riss mich aus den Gedanken.
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