Ein Mord von bessrer Qualität: Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross (German Edition)
quer durch die Ortschaft. Es war ein angenehmer Spaziergang, und er verschaffte uns mehr als genügend Gelegenheit, unsere neu gewonnenen Informationen auszutauschen.
»Sämtliche Bediensteten sagen, dass sie gerne im Haushalt der Benedicts arbeiten«, berichtete Morris. »Sie sind alle ganz untröstlich. Wie es scheint, mochten sie Mrs. Benedict ausgesprochen gern.«
»Diesen Eindruck hatte ich auch. Was mich zu der Frage führt … Wie steht es mit Benedict selbst, dem Arbeitgeber? Fühlen sie mit ihm mit? Hatten Sie den Eindruck, dass er so beliebt ist, wie es seine junge Frau war?«
»Reichlich Mitgefühl, Sir, reichlich. Er war vielleicht nicht so …« Morris suchte vergeblich nach den richtigen Worten. »Ich hatte den Eindruck, dass sie eine Menge Respekt vor ihm haben, und dass sie ihn ein wenig fürchten, wenn Sie so wollen. Sie mögen ihn wahrscheinlich nicht ganz so sehr wie die verstorbene Herrin.«
Es gab vonseiten des Personals also Anzeichen echter Zuneigung für die Dame des Hauses, nicht jedoch für den Herrn.
»Und sind die Bediensteten der Ansicht, dass die Benedicts eine glückliche Ehe hatten?«
Morris zögerte. »Die Köchin nannte es eine ›gute Ehe‹. Das war das Wort, das sie gebraucht hat. Und alle sagen, Mr. Benedict habe seine Frau vergöttert.«
Das stimmte mehr oder weniger mit dem überein, was ich von Henderson erfahren hatte.
»Und sie? Hat sie ihn vergöttert? Oder hat sie ihn vielleicht sogar geliebt ?«
Morris errötete. »Ich weiß nicht, Sir, ich kenne mich nicht aus damit. Woher soll man das wissen? Ich meine, Leute wie die Benedicts, sie sind sehr vornehm, wie sie sich miteinander unterhalten und so weiter, oder nicht? Sie küssen sich nicht in Gegenwart anderer.«
Zugegeben. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Sebastian Benedict sich zu einem derartig neckischen Verhalten hinreißen ließ, nicht im Privaten und schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Doch kein Außenseiter weiß jemals, wie es in einer anderen Ehe aussieht. Andererseits hatte die Kammerzofe der Hausherrin keinen Zweifel offengelassen, wie Benedict für seine Frau empfand. Der Charakter des Opfers faszinierte mich von Minute zu Minute mehr.
»Wie haben die Bediensteten die Verstorbene beschrieben?«, wollte ich als Nächstes wissen.
»Eine sehr stille, würdevolle Lady, das ist alles, was sie gesagt haben. Sie war musikalisch und spielte wunderschön auf dem Flügel. Sie konnte stundenlang sitzen und nur für sich selbst spielen.«
Die Beschreibung ließ mir keine Ruhe. Was war aus dem beschwingten, lachenden, lebendigen, achtzehn Jahre alten Mädchen aus Italien geworden, dass neun Jahre Ehe mit Benedict sie in eine stille, würdevolle britische Matrone verwandelt hatten, die allein in ihrem Salon saß und stundenlang auf dem Flügel vor sich hin klimperte? Was hatte all ihr Feuer erlöschen lassen?
»Wie fanden Sie denn den Ehemann, Sir?«, erkundigte sich Morris.
»Ein etwas merkwürdiger Charakter, offen gestanden. Ich zweifle nicht daran, dass er seine Frau geliebt hat. Er trauert aufrichtig um sie. Doch er scheint auch von ihrer Schönheit besessen gewesen zu sein. Ich konnte das Gefühl nicht ablegen, dass er beinahe genauso aufgebracht gewesen wäre beim Verlust eines kostbaren Gemäldes oder einer Statue. Ich schätze, Morris, von Mrs. Benedicts Standpunkt aus muss es sehr ermüdend gewesen sein, wenn nicht rundheraus deprimierend, mit einem Ehemann verheiratet zu sein, der einen allem Anschein nach in erster Linie wegen der eigenen Schönheit liebt, der einen als Objet d’art betrachtet und einen nicht um seiner selbst willen liebt mitsamt allen Unvollkommenheiten, die man vielleicht hat. Sie war außerdem sehr jung, als sie ihn geheiratet hat, erst achtzehn, auch wenn sie sich bereits gekannt haben, seit sie vierzehn war. Er war fünfzehn Jahre älter als sie. Die Ehe scheint zwischen ihrem Vater und ihm arrangiert worden zu sein – Benedict selbst kommt mir kaum als die Sorte Mann vor, bei der ein junges Mädchen ins Schwärmen gerät.«
»Sie glauben, dass Mrs. Benedict vielleicht einen Liebhaber gehabt hat?«, mutmaßte Morris.
Ich fürchte, als Polizeibeamter entwickelt man früher oder später eine schmutzige Phantasie. Wir sehen zu viel von der menschlichen Natur, zu viele menschliche Schwächen und heimliche Laster. Ich konnte nicht verneinen, dass mir der Gedanke noch nie gekommen war – im Gegenteil. Er lauerte in meinem Hinterkopf, seit ich
Weitere Kostenlose Bücher