Ein Mord von bessrer Qualität: Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross (German Edition)
Kopf.«
Ich ließ ihn sitzen und ging nach draußen. Vielleicht fand ich eins der beiden Freudenmädchen, die bei ihm gesessen hatten. Aber weder sie noch eine ihrer Kolleginnen waren zu sehen. Die beiden aus dem Pub hatten die Kunde verbreitet, dass ein Zivilbulle herumschnüffelte, und alle hatten wohlweislich beschlossen, lieber woanders »Lumpen zu sammeln«.
Eigentlich hatte ich beabsichtigt, am nächsten Montagmorgen sämtliche Constables auf Streife zu bitten, nach Clarrie Brady Ausschau zu halten und Erkundigungen über sie einzuziehen. Die Cops kannten sämtliche Straßenmädchen, und wenn sie sie nicht gerade verhafteten, weil die Mädchen ihre Dienste wieder einmal zu unverhohlen anboten, führten sie gerne deftige Schwätzchen miteinander. Mit ein wenig Glück hatte einer der Constables Clarrie gesehen. Oder, falls nicht, hatte er vielleicht von einer Prostituierten erfahren, wohin sie gegangen war. Außerdem hatte ich die Absicht, Biddle zu den verschiedenen Friedensgerichten zu schicken. Er sollte in den Akten nachsehen, ob Clarrie vielleicht kürzlich verurteilt worden war. Doch als ich den Scotland Yard erreichte, verging mir fürs Erste jeder Gedanke an Clarrie, und zwar gründlich.
Einmal mehr packte mich Sergeant Morris am Arm, als ich durch die Tür trat, und verkündete, dass Superintendent Dunn mich sofort zu sehen wünsche. »Uns beide, Sir«, fügte er hinzu.
»Morris«, entgegnete ich resignierend. »Das wird zu einer schlechten Angewohnheit. Ich frage mich allmählich, ob ich jemals wieder bis zu meinem Büro komme, ohne dass Sie mich mit irgendeinem neuen Problem abfangen. Sie wollen mir hoffentlich nicht erzählen, dass es einen weiteren Mord gegeben hat?«
»Ich weiß es nicht, Sir«, antwortete Morris. Er senkte die Stimme. »Aber Mr. Dunn hat jemanden bei sich, einen Chief Inspector von der Eisenbahnpolizei, von der Waterloo Bridge Station.« Morris nannte den Bahnhof mit seinem vollen, offiziellen Namen, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen. »Beide sind sehr aufgebracht, Sir.«
Hm. Was hat ein Chief Inspector der Eisenbahnpolizei so weit entfernt von seinem Revier auf dem Scotland Yard zu suchen?, fragte ich mich verwirrt. Ich eilte zum Büro von Dunn, und Morris folgte mir dicht auf den Fersen.
Dunn hatte eine finstere Miene aufgesetzt, als ich eintrat, doch sie galt nicht mir. Der Adressat war ein Mann von etwa vierzig Jahren mit einem roten Schnurrbart. Allem Anschein nach war eine lebhafte Diskussion (manche hätten auch einen Streit vermutet) im Gange. Die ersten Worte, die ich vernahm, kamen aus dem Mund des Besuchers.
»Natürlich können wir nicht allein ermitteln«, sagte er. »Aber Sie können es auch nicht ohne uns …«
»Da sind Sie ja endlich, Ross!«, rief Dunn mit unüberhörbarer Erleichterung, als er Morris und mich erspähte. »Das hier ist Chief Inspector Burns von der London and South West Railway Police mit Sitz im Bahnhof von Waterloo Bridge.« Er wandte sich an Burns. »Das dort ist Inspector Ross, der die Untersuchung bezüglich des Phantoms aus der Themse und des Mordes im Green Park leitet. Und Sergeant Morris.«
Morris stand in Habtachtstellung. Burns nickte als Bestätigung, dass er unsere Namen zur Kenntnis genommen hatte.
Ich hatte keine Zeit für höfliches Geplänkel. »Das Phantom aus der Themse!«, rief ich aus. »Hat es einen weiteren Mord gegeben?«
Dunn nickte finster. »Ja. Allerdings nicht im Park.« Er deutete zu dem Chief Inspector. »Wenn Sie die Güte hätten zu berichten, Mr. Burns?«
»Danke, sehr gerne, Sir.« Burns nickte ihm zu, dann sah er mich an. »Vor ungefähr einer Stunde wurde eine Leiche in einem Abteil eines Zuges entdeckt, der auf der Strecke von Chertsey nach Waterloo eingesetzt war.«
»Chertsey? Bitte entschuldigen Sie, Chief Inspector …«, unterbrach ich ihn. »Aber in welchen Ortschaften hält der Zug auf dem Weg nach Waterloo?«
»In mehreren. Egham, Staines …«
»Egham!«, rief ich erschrocken. Mein Herz stockte. War das möglich? Nein, sicherlich nicht, versuchte ich mich zu beruhigen, doch ich spürte bereits die eisige Hand der Vorahnung, die sich um mein Herz schloss.
Dunn räusperte sich warnend.
Burns fuhr nach einem Blick zu ihm fort. »Die Leiche wurde vom Schaffner entdeckt. Es handelt sich um eine Frau. Der Zug steht am Bahnsteig, aber niemand darf einsteigen. Es ist eine Katastrophe für den Fahrplan entlang der gesamten Strecke, wie Sie sich sicher vorstellen können.
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