Ein Mund voll Glück
ist.«
Ja, der Schwanenbräu hatte seinen zukünftigen Schwiegersohn besucht, nicht als Patient, er war nur >zufällig< vorbeigekommen, weil die Zentrale der Raiffeisenbank in der Nähe der Praxis lag und weil er mal ein wenig hineinspitzen und Werner Grüß Gott sagen wollte. Die beiden Patienten im Wartezimmer hatten ihn nicht besonders beeindruckt, um so mehr aber die zentrale Lage der Praxis und ihre aufwendige Einrichtung.
Auch sein Fräulein Braut war einige Male bei ihm vorbeigekommen, allerdings nur, um ihn zu bitten, daheim zu bestätigen, daß sie bei ihm gewesen sei und sich mit ihm für den Abend verabredet habe, falls ein Anruf von daheim käme. Auch die Verabredung für den morgigen Sonntag nachmittag war ein Alibi, damit sie sich mit ihrem Freund in München treffen konnte. Das Spiel wurde Werner Golling allmählich lästig, besonders an Sonntagen, wo er die Zeit, die er angeblich mit ihr verbrachte, außerhalb des Hauses totschlagen mußte. Zum Glück gab es in München eine Menge Museen, zu deren eifrigsten Besuchern er bald gehörte. Im »Deutschen Museum< begrüßten ihn die Aufseher bereits mit Handschlag. Sein Wunsch, daß die Verlobung endlich platzen möge, wurde von Woche zu Woche stärker, aber Hannelore Danner beschwor ihn inständig, das Spiel noch eine Zeitlang fortzusetzen. Und ebenso dringend bat sie ihn, den Verlobungsring ständig zu tragen. Sie befürchtete — und sie hatte zu dieser Befürchtung wohl auch Gründe —, daß Harpfings Augen und Ohren bis nach München reichten. Tatsächlich waren, etwa vier Wochen nach der Verlobung, zwei Damen — Mutter und Tochter — in seiner Praxis erschienen. Sie sagten nicht, daß sie aus Harpfing kämen, sie erwähnten nur, daß sie zu Einkäufen in die Stadt gefahren seien, daß sie in einem Café etwas zu sich genommen hätten, wobei die Mutter beim Genuß einer Nußtorte auf ein Stückchen Schale gebissen habe, was einen so fürchterlichen Schmerz verursacht habe, daß sie fürchten müsse, der Zahn sei gesplittert. Der Doktor konnte keinerlei Beschädigungen am Zahn feststellen und entließ die Patientin, ohne ein Honorar für seine Bemühungen zu fordern. Aber ihm waren die flinken Augen der Damen aufgefallen, und als er Hannelore gegenüber diesen Besuch erwähnte, schwor sie, nachdem sie sich Mutter und Tochter genau hatte beschreiben lassen, daß es sich bei den beiden nur um die alte Empfenzederin und ihre Tochter Bärbl handeln könne, denen das Schuhgeschäft am oberen Markt in der Nähe des Salzburger Tores gehörte.
»Und die Bärbl, dieses Miststück, hat sich, obwohl sie meine Schulfreundin ist, während ich in Garmisch war, meinen Fredi zu kapern versucht. Natürlich hat er sie abblitzen lassen. Aber jetzt, wo sie weiß, daß ich mit dir verlobt bin, versucht sie wieder mit ihm anzubändeln und kann es, wo er doch schon aus Enttäuschung über meine Untreue mit fliegenden Fahnen zu ihr überlaufen müßte, einfach nicht fassen, daß sie bei ihm noch immer nicht landen kann, haha!«
Sie zog dabei ein gerahmtes Foto aus ihrer Handtasche. Der Fotograf Hofmeier in Harpfing hatte sie auf eine Seifenreklame-Schönheit zurechtretouchiert und das Foto in einen roten Lederrahmen gesteckt — und den stellte sie auf seinen Schreibtisch. »Du läßt es doch stehen...?«
»Wenn es durchaus sein muß...«
Er bekam für seine Bereitschaft einen Kuß, der ihn angenehm durchrieselte. Es war überhaupt seltsam, wie oft sie ihn mit solchen spontanen Zärtlichkeiten überraschte.
»Erzählst du das eigentlich deinem Fredi-Bubi?« fragte er sie einmal bei solch einer Gelegenheit.
»Natürlich nicht!«
»Und warum tust du es dann überhaupt?«
»Ehrlich, ich finde dich wahnsinnig sympathisch... Vielleicht bin ich in dich sogar ein bißchen verliebt. Natürlich nicht so wie in meinen Manfred. — Ist das schlimm?«
»Für mich nicht...«, grinste er.
»Wir sind doch moderne Menschen!«
Er sah sie nachdenklich an. Der lange Aufenthalt in Garmisch schien die allzu enge Harpfinger Haut gesprengt zu haben. Die Frage war nur, ob diese Häutung auf die Dauer auch Herrn Sichler gefallen würde...
Er hatte Fräulein Irene Faber für vier Uhr bestellt und konnte es sich leisten, sich nach dem Mittagessen noch für eine tun e hinzulegen. Um drei Uhr brach er von zu Hause auf. Selbst im gemächlichen Bummeltempo brauchte er für den Weg zur Praxis zu Fuß kaum mehr als eine halbe Stunde. Die Folgen der vergangenen Nacht spürte er nur an seinem
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