Ein Mund voll Glück
nahm sie bei der Hand, »ich erwähnte schon, daß ich ein bißchen schwer von Begriff bin. Wenn ich kein allzu langes Haar in der Suppe finde, mache ich mit. Aber ich meine, wir sollten uns die Sache bei einer Zigarette und bei irgend etwas Feuchtem für die Kehle doch noch einmal gründlich durch den Kopf gehen lassen.«
»Dann also auf zur Blauen Grotte! Um diese Zeit können wir dort ganz gewiß ungestört reden.«
Sie hängte sich bei ihm ein, und sie gingen, glückliches Brautpaar übend, zum Wagen zurück. Die Sonne war inzwischen weitergewandert und brannte auf das Wagendach nieder. Man hätte darauf Spiegeleier braten können. Innen war es heiß wie in einer Backstube, und sie mußten lange lüften, ehe sie die Fahrt fortsetzen konnten.
Die Verlobungsfeier fand vierzehn Tage später in Harpfing statt. Im Harpfinger Tagblatt kündigte Dr. med. dent. Werner Golling das Ereignis durch eine Anzeige an. Blumengrüße trafen in solcher Menge ein, daß der Gasthof zum Schwanenbräu eine Woche lang mit Hamburgs >Planten und Bloomen< hätte konkurrieren können. Dazu kamen Geschenke aus Glas und Porzellan, bei deren Anblick Werner Golling der Hals ein wenig eng wurde.
4
Am Donnerstag waren es vier Patienten, an denen er seine Kunst ausüben durfte, zwei Extraktionen, eine Füllung und die Vorbehandlung für eine Goldkrone. Der Doktor rieb sich die Hände. Der Laden begann ja geradezu flott zu laufen. Und am Freitag kam der Rekord der bisherigen Praxis, er hatte fünf Fälle zu behandeln, davon drei neue, und zu diesen neuen gehörte eine schikanöse Kieferoperation, die man schon fast in die höhere Chirurgie einreihen konnte. Für den Patienten keine Annehmlichkeit, für den Doktor aber eine wahre Wonne und Wohltat. Als er am Abend die Tür der Praxis hinter sich abschloß, fühlte er sich geradezu erfrischt und aufgemöbelt.
Rechtsanwalt Dr. Alois Seehuber, ein Mann seines Alters und nicht viel länger selbständig als er selber, begegnete ihm im Vorraum. Der arme Kerl hatte heute seinen achten Prozeß verloren und schielte den Doktor, der munter vor sich hinpfiff, böse an.
»Bei Ihnen hat’s heute fünfmal geläutet...« knurrte er.
Werner Golling grinste vergnügt. Bis dahin hatte er reichlich Gelegenheit gehabt, zu zählen, wie oft drüben die Glocke anschlug.
»Stimmt haargenau!« sagte er.
»Bei mir will seit Wochen einfach nichts mehr klappen«, seufzte der junge Anwalt. »Soeben habe ich Kassensturz gemacht...«
»Wem erzählen Sie das, Mann?« knurrte Werner Golling. »Diesen Saldo mortale übe ich täglich.«
»Wenn Sie es genau wissen wollen — ich habe zehn Mark und fünf und sechzig im Portemonnaie. Das langt gerade, um sich einen anzududeln. Machen Sie mit, Golling?«
Warum sollte er nicht mitmachen? Morgen hatte er keine Sprechstunde, bis auf die eine Patientin — wie hieß sie doch gleich? —, die er dummerweise auf den Nachmittag bestellt hatte. Schade, daß sie nicht heute gekommen war, sie hätte im Wartezimmer Leidensgenossen gefunden.
»Ich bin dabei«, sagte er kurzentschlossen, »aber lassen Sie mich noch kurz daheim Bescheid sagen.«
»Wohnen Sie bei Ihren alten Herrschaften?«
»Meine Eltern sind tot. Ich lebe bei Verwandten.«
»Ich wohne im Hause meines Schwagers. Am Nymphenburger Kanal. Er ist Architekt und ein ganz verträglicher Bursche. Nur für meinen Geschmack allzu kinderlieb. Meine Schwester erwartet gerade das vierte. In der Freizeit spiele ich hauptsächlich Onkel. — Mein alter Herr ist übrigens Zahnklempner wie Sie. Prima Praxis in Rosenheim. Die reine Goldgrube. Und ich Rindvieh mußte Jus studieren. Na ja, wie man sich bettet, so schallt es heraus.«
Er war ein netter Bursche, mit Redensarten aus dritter Hand und Witzen, die eine Menge Moos angesetzt hatten, aber Werner Golling war nicht anspruchsvoll. Sie landeten in einem Bierkeller an der Theresienwiese, Werner Golling lud Herrn Seehuber zu einer Kalbshaxe ein, und nach der zweiten Maß redeten sie sich mit »Herr Hauptmieter« und »Herr Aftermieter« an. Nach der vierten tranken sie Duzfreundschaft.
»Mein alter Herr war neulich hier und hat sich meinen Laden angesehen«, vertraute Alois Seehuber seinem neuen Freund an. »Zum Glück meldete er sich einen Tag vorher telefonisch an, so daß ich drei Bundesbrüder herbeitrommeln konnte, die im Wartezimmer Klienten spielten. Juristen — sie machten ihre Sache wirklich prima. Trotzdem zog der alte Seehuber die Nase beträchtlich kraus...«
»Hast
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