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Ein Mund voll Glück

Ein Mund voll Glück

Titel: Ein Mund voll Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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halb drei wieder auf.«
    »Deine Sorgen möchte ich haben! Das ist doch einfach lächerlich — der Emir von Khoranshar zahlt mit ungedeckten Schecks! Erzähl es keinem Menschen, sonst glaubt man womöglich, du hättest einen kleinen Dachschaden.«
    Das erste Café war überfüllt, das zweite war total überfüllt, aber schließlich fanden sie in einem Espresso doch ein Tischchen, an das sich zwei Hocker gerade noch heranklemmen ließen. Die Gäste waren ausnahmslos sehr jung und von der Art, bei der sich Männchen und Weibchen nur mit einiger Mühe voneinander unterscheiden ließen.
    »Weiß der Teufel«, murmelte Alois Seehuber, »aber hier komme ich mir wie ein seriöser älterer Herr vor.«
    Werner Golling kämpfe sich zur Theke durch und kam mit zwei Espressos zurück.
    »Was mir Sorgen macht«, sagte Alois Seehuber und schüttete zwei Zuckerpäckchen in den tintenschwarzen Kaffee, »das ist die Frage, wie du mich an das Mädchen heranbringen willst. Das ist doch alles ein bißchen peinlich, wie?«
    »Laß mich nur machen, ich bringe die Sache schon ohne Peinlichkeiten in Ordnung. Ich werde Hannelore von der Praxis aus anrufen und ihr erzählen, mein bester Freund habe zwei Karten für Anatevka besorgt und wüßte mit der zweiten nichts anzufangen...«
    »Deutsches Theater! Anatevka! Du hast wohl ein paar Schrauben locker. Da kostet ein halbwegs anständiger Platz fünfzehn bis zwanzig Eier, und außerdem ist der Laden über Wochen hinaus ausverkauft. Kino tut’s auch!«
    »Freut mich, daß du mit meinem Geld so sparsam umgehst«, grinste Werner Golling und schob Herrn Seehuber zwei Fünfziger hinüber, »dann also Kino. Aber hau nicht auf die Sex-Pauke, soviel ich weiß, bevorzugt sie Krimis.«
    »Danke für den Tip. Und von mir aus können wir jetzt gehen. Ich werde mich in der Kanzlei ein Stündchen aufs Ohr legen. Ich finde nur, daß die Miete für ‘ne reine Schlafstelle ein bißchen teuer ist.«

9

    Wer ein Barometer besaß, konnte an diesem Tage feststellen, daß es innerhalb weniger Stunden von 1020 auf 965 Millibar fiel. Der Himmel war wolkenlos, aber er hatte die Farbe von ungeputztem Zinn angenommen. Die Sonne stand fahl und kraftlos über der Stadt. Es war eine Stimmung wie bei einer Sonnenfinsternis, wenn das blasse Licht, das eine schmale Sonnensichel noch über die Erde streute, keinen Schatten mehr zu werfen vermochte. Die Tauben, die kurz zuvor in Schwärmen zu den Futterplätzen unterhalb der Linden in den Grünanlagen vor dem Haus niedergeflattert waren, waren plötzlich verschwunden. An den Bäumen regte sich kein Blatt. Der Doktor, der am Fenster stand und den Blick von dem seltsam, fast unheimlich verfärbten Himmel über die menschenleere Anlage wandern ließ, hatte das Gefühl, die Luft sei zu einer gläsernen Masse erstarrt und habe die Bäume wie jene vor Jahrtausenden vom Bernsteinharz gefangenen Insekten in sich erstickt. Er selbst spürte eine Beklemmung in der Brust, eine Erschwerung beim Atmen, als sei die Luft tatsächlich dicker und zähflüssiger geworden, und er spürte eine nervöse Spannung, ein Kribbeln unter der Haut, lästig wie klebriges Spinngewebe. Und dann, von einem Augenblick auf den anderen, fuhr — ein Schauspiel, das er nie vergessen würde —, als hätte es in der Nähe eine gewaltige Explosion gegeben oder als wäre ein Staudamm geborsten, grau wirbelnd der erste Windstoß in die Kronen der Bäume hinein, dem, mit sich reißend, was im Wege stand, neue Sturmstöße wie Wogen einer vernichtenden Springflut folgten. Zwei Linden krachten nieder. Ihr Wurzelwerk quoll als gelbes, fettiges Gedärm aus dem aufgerissenen Asphalt. Dann zuckte ein Blitz aus dem Himmel, der ohrenbetäubende Donnerschlag folgte unmittelbar, und gleichzeitig prasselten Hagelschloßen von der Größe mittlerer Flußkiesel hernieder, zerschlugen zahllose Fensterscheiben und bildeten über der Straßendecke eine knöcheltiefe Sülze aus Eismatsch, der die Gullys verstopfte, so daß der bald darauf einsetzende sintflutartige Regen keinen Abzug in die Kanäle fand und in weiten Bezirken der Innenstadt die Keller, Unterführungen und U-Bahnschächte überflutete.
    Daß sich unter diesen Umständen kein Patient in der Praxis einfinden würde, war klar. Der einzige Besucher, der für einen Sprung herüberkam, war Dr. Alois Seehuber.
    »Ich hab’s in den Knochen gespürt, daß es heute etwas geben würde«, sagte er und starrte in das Unwetter hinaus. Ein Dutzend Gewitter schienen sich

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