Ein Mund voll Glück
Schmarrn daherzureden!« knurrte Onkel Paul. »Aber so rasch schmeiße ich die Flinte nicht ins Korn. Mein erster Weg morgen früh führt zum Justizrat Quandt. Ich will doch sehen, ob solch ein orientalischer Scheich unsereinem einfach auf den Schlips spucken darf!«
Elfriede betrat das Zimmer und stellte das Abendessen auf den Tisch.
»Was gibt’s denn heute?« fragte Onkel Paul.
»Wurstsalat, Herr Berwanger, ganz nach Ihrem Gusto, mit viel Musik...«
Onkel Paul rieb sich zufrieden die Hände.
»Daß du nach solchen Aufregungen Appetit hast, Paul! Mir geht kein Bissen durch die Kehle.«
»Dir nicht, aber mir! Und wie steht’s mit dir, Werner?«
»Ich werde mich an den Schinken halten, Onkel Paul. Ich habe nämlich um acht eine Verabredung, bei der ich lieblich aus dem Hals riechen muß.«
»Mit Hannelorchen!« rief Tante Hedi. »Wie ich’s nur vergessen konnte! Sie hat ja mittags angerufen. Hat sie dich in der Praxis besucht?«
»Sie wollte kommen, aber dann kam das Unwetter dazwischen. Sie rief mich vom Königshof an, daß sie Karten für Anatevka besorgt hat.«
»Deutsches Theater und Wurstsalat, nein, daß paßt wirklich nicht zusammen«, stellte Onkel Paul fest und fischte sich eine Extraportion Zwiebelringe aus der Essigbrühe. Er blinzelte Werner zu: »Bestell deinem Mädchen einen schönen Gruß von uns. Na, es war doch keine schlechte Idee vom guten alten Onkel Paul, dich nach Harpfing zum Schwanenbräu mitzunehmen, wie? Wenn dir die heutige Geschichte mit dem geplatzten Scheck vor vier Wochen passiert wäre, hättest du ziemlich dumm aus der Wäsche geschaut. Mit der Mitgift im Hintergrund, die dich aus Harpfing erwartet, können dir natürlich alle Scheichs der Welt im Mondschein begegnen, haha!«
»Nun tu nur nicht so, Paul«, sagte Tante Hedi mit einiger Schärfe, »als ob Werner Hannelore nur wegen ihres Geldes heiraten wird! Die jungen Leute lieben sich, und das ist für mich das einzige, was zählt!«
Werner Golling öffnete den Mund — und schloß ihn wieder. Nein, heute fand er einfach nicht den Mut, seinen Leuten die Wahrheit einzugestehen: Onkel Paul würde ihn — vor allem in seiner augenblicklichen Situation — für verrückt erklären, und ob Tante Hedis Verachtung des Geldes ganz ernst zu nehmen war, wagte er zu bezweifeln. Solche Sprüche konnte man sich leicht leisten, wenn man genug davon besaß.
11
Mit der Bemerkung, er könne Hannelore unmöglich mit seiner alten, scheppernden Blechbüchse vom Hotel abholen, hatte Onkel Paul ihm für den Abend großzügig den Mercedes überlassen. In einiger Entfernung vom Haus Faber fand er unter dem Peitschenmast einer Bogenlampe einen Parkplatz. Es war noch hell, als er an der Haustür läutete. Die Frage, ob er den Damen ein paar Blümchen oder etwas zum Knabbern mitbringen solle, hatte er in der Halle des Hauptbahnhofs in der Weise gelöst, daß er für Irene Faber fünf Nelken und für ihre Schwester Marion eine Schachtel Nougatkonfekt erstand. Er hoffte von Herzen, den Pummel Marion nach dem Kino auf elegante Art abwimmeln zu können. Daß es sich bei der jüngeren Schwester von Fräulein Faber nur um einen Pummel handeln könne, stand für ihn deshalb fest, weil Irene Faber, sooft sie auch auf Marion zu sprechen gekommen war, stets deren enorme Gefräßigkeit erwähnt hatte. Deshalb sah er nicht besonders gescheit aus, als ihn im zweiten Stockwerk in der offenen Wohnungstür ein Mädchen erwartete, dessen Anblick ihm für einen Moment die Sprache raubte. Daß er die Schwester von Fräulein Faber vor sich hatte, ergab sich aus einer unverkennbaren Familienähnlichkeit. Aber sonst überragte Marion Faber ihre Schwester um einen guten halben Kopf, und auch alles übrige war an ihr in die Länge geraten, die Beine, die Arme, die Hände und die Haare, die ihr vom Mittelscheitel als Schnittlauchlocken über beide Schultern fielen. Um so kürzer war der Rock, der ihre schmalen Hüften bedeckte. Es war der kürzeste Rock, den der Doktor jemals gesehen hatte. Vom Hals hingen ihr lange bunte Kutten bis zum Gürtel herab, und diese Aufmachung ließ den Doktor hoffen, daß die junge Dame sich nicht für einen alten Garbo-Film, sondern für den Besuch eines Beat-Schuppens zurechtgemacht hatte.
»Doktor Golling, nicht wahr?« begrüßte sie ihn munter. »Ich bin Marion Faber. Treten Sie ein. Meine Schwester läßt sich entschuldigen. Sie hofft, rechtzeitig fürs Kino zurück zu sein. Bis dahin soll ich Ihnen Gesellschaft leisten. Und ich
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