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Ein nasses Grab

Ein nasses Grab

Titel: Ein nasses Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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gewendet, oder vielleicht hatte sich infolge seines Missgeschicks auch das Boot bewegt. Auf jeden Fall befanden sie sich jetzt mit der Breitseite zum Bug des Kahns, in dem hinter einem respekteinflößend aussehenden Gewehr ein zweiter Mann saß.
    »Abend, Herrie«, sagte Dalziel.
    »Nur die Ruder, Andy.«
    Die Stimme des Alten klang fest, aber irgendwie nicht ganz richtig in Pascoes Ohren. Anspannung war herauszuhören. Als spielte John Gielgud einen Gangster.
    »Kommen Sie, Herrie«, sagte Dalziel aufgeräumt. »Was soll denn das?«
    »Den Wagen konnte ich nicht nehmen«, sagte der Alte. »Charley sagte, er würde ein paar von den Gästeautos verschieben, aber die Schlüssel waren weg. Das war vermutlich Ihr Werk, Andy. Also habe ich ein Taxi gerufen, das mich an der Straße am anderen Ufer abholen sollte. Und da wäre ich jetzt auch schon, wenn mein Charon nicht wieder einmal seine absolute Unfähigkeit unter Beweis hätte stellen müssen.«
    Die zwei Boote waren sich mittlerweile so nahe gekommen, dass sie einander beinahe berührten, und Pascoe, der sich wieder in der Vertikalen befand, konnte die seltsame Szene in all ihren absurden Details ausmachen. Der Umstand, dass er hier der Einzige war, der wie ein normaler Mensch des zwanzigsten Jahrhunderts gekleidet war, verstärkte sein Gefühl, Zuschauer zu sein, noch zusätzlich. Den Mittelpunkt dieses
Tableau vivant
bildete der alte Mann. Seinem feingemeißelten Patrizierhaupt wäre vielleicht eine Toga eher angemessen gewesen als ein Wams, dennoch gab er einen guten Herzog Vincentio oder sogar Hamlet ab, gespielt von einem englischen Schauspieler, der sich damit ein wenig zu lange Zeit gelassen hatte. Dalziel, der nun stand und auf den Kahn hinabsah, war in seinem langen, grünen Umhang eine imposante Figur, doch sein Haupt war nicht das eines Philosophen oder Leidenden. Unter der lächerlichen Labbermütze, die ihm ins Gesicht hing, funkelten seinen Augen listig und berechnend – Odysseus bei der Beurteilung einer verzwickten Lage, vielleicht sogar ein etwas übergewichtiger Prospero, der es ein wenig bedauerte, seine Bücher ins Wasser geworfen zu haben.
    Was die erste Gestalt anging, die Pascoe schon auf dem Parkplatz am Werk gesehen hatte, war auch sie ein Geschöpf der Zauberinsel. Ariel und Caliban in einer Person, Anmut und Ungeschick. Seht her, wie er den Kahn entlangschreitet, die ersten Schritte leicht und elegant, sieht er nicht aus, als habe er sein Lebtag nichts anderes getragen als dünne Seide und rosa Strümpfe? Da hub er an zu sprechen.
    »Also, ich weiß ja nicht, was hier los ist …«
    Hereward Fielding wandte den Kopf, Dalziel erblickte seine Chance und stieg vom Ruderboot in den Kahn. Ariel tat einen weiteren Schritt und wurde Caliban, stolperte über ein loses Kissen und ging schwer zu Boden. Der Kahn schaukelte heftig.
    Dalziel, der in gefährlicher Position auf dem Dollbord stand, schwankte wie der Mastbaum eines Klippers auf sturmgepeitschten Wogen. Hereward erhob sich von seinem Gewehr und streckte ihm eine rettende Hand entgegen, doch es war zu spät. Wie die untergrabene Statue eines gestürzten Diktators kippte die massige Gestalt des Superintendent langsam zur Seite und sank, eine gewaltige Fontäne hervorrufend, ins Wasser. Tillotson und Fielding knieten erschrocken an der Längsseite des Kahns und überschlugen sich vor Entschuldigungen und Hilfsangeboten. Und Pascoe, der den Zeitpunkt für gekommen hielt, dem zwanzigsten Jahrhundert den ihm gebührenden Platz zu verschaffen, stieg ruhig in den Bug und bemächtigte sich des Gewehrs.
    Zwar befremdete es Pascoe, dass ein Mann, der so kurz zuvor gedroht hatte, seinem Chef ein Loch in den Pelz zu brennen, jetzt so ängstlich um dessen Wohlergehen besorgt war, doch Tillotson, der nun half, den triefenden Dalziel an Bord zu ziehen, lieferte dafür eine Erklärung.
    »Es tut mir so leid, aber ich wollte eigentlich nur sagen, dass kein Grund zur Sorge besteht. Ich meine, das Gewehr ist nicht geladen, Sie glauben doch wohl nicht, dass ich es geladen da stecken lasse? Ich hab’s Herrie gesagt, er wusste, dass es nicht geladen war. Bitte, was ist denn eigentlich los? Menschenskind, Sie sind ja vielleicht nass!«
    Pascoe, neben dem Gewehr hockend, gluckste in sich hinein. Das ungeladene Gewehr verdoppelte die Komik des Ganzen, weil es ihm auch noch das heroische Element raubte. Andererseits, wenn ein Risiko bestanden hätte … Beiläufig drückte er auf den Auslöser.
    Die dadurch

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