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Ein nasses Grab

Ein nasses Grab

Titel: Ein nasses Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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bedurfte schon eines starken Charakters, mit einer Flasche in der einen und einem Glas in der anderen Hand dazustehen und ihm nichts anzubieten.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Fielding.
    »Nein. Die anderen sind anscheinend gerade in einer Besprechung, und ich habe mich nur umgesehen.«
    »Tatsächlich? Nun, dieses Zimmer, nach allgemeiner Meinung das kälteste und zugigste in diesem kalten und zugigen Haus, wird gelegentlich als mein Wohnzimmer betrachtet. Doch sollte es jemand anderem belieben, hier zu essen, zu trinken, zu schlafen, Platten zu spielen, Beischlaf auszuüben oder auch nur herumzuspazieren, dann soll mein selbstsüchtiges Bedürfnis nach Ungestörtheit dem selbstverständlich nicht im Wege stehen.«
    »Das ist sehr freundlich von Ihnen«, sagte Dalziel herzlich und schloss die Tür hinter sich. »Schrecklich, dieses Wetter. Mir tun die armen Schweine leid, die jetzt auf Urlaub sind.«
    »Ich dachte,
Sie
wären auf Urlaub«, sagte Fielding und füllte sein Glas.
    »Bin ich auch«, bestätigte Dalziel, den diese Vorstellung einigermaßen zu überraschen schien. »Dann bedauern Sie mich halt. Ja, es gießt noch immer, was das Zeug hält. Ich hoffe, mit Ihrem Enkel ist alles in Ordnung.«
    »Was?«
    »Ihr Enkel. Er ist ausgerissen, glaube ich. Es tut mir leid, wussten Sie das denn nicht?«
    Der Alte nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Glas. Was ist das?, fragte sich Dalziel. Er konnte das Etikett nicht sehen, weil Fieldings lange, knochige Finger es verdeckten, doch die Flüssigkeit hatte die verlockende Farbe blassen Bernsteins.
    »Es wäre wohl zu optimistisch zu hoffen, dass Sie Bertie meinen?«, fragte Fielding.
    »Ja. Es ist der Junge. Nigel.«
    »Das habe ich befürchtet. So war es schon immer. Wilde hatte unrecht. Man muss die Dinge, die man liebt, nicht umbringen. Man muss nur lange genug warten, dann gehen sie von selbst.«
    »Wer?«, fragte Dalziel, der sich auf diese neuerliche Bezugnahme aufs Töten stürzte und die Frage ihrer Herkunft geklärt wissen wollte.
    »Wer? Sie meinen, wer … Oscar Wilde.
Die Ballade vom Zuchthaus in Reading

    »Ach, die Schwuchtel«, sagte Dalziel mit schwindendem Interesse.
    Unerwarteterweise lachte Fielding. »Genau der«, sagte er. »Wollen Sie etwas trinken, Mr. …«
    »Dalziel. Ja. Ich will.« Der Nächste, der glaubt, er hat mich durchschaut, und mir jetzt mit der leutseligen Tour kommt, dachte Dalziel, während seine Pranke das Glas, das er vom Boden aufgehoben hatte, mit sicherem Griff unter die Flasche hielt, bis die Oberfläche der Flüssigkeit den Rand des Glases erreicht hatte und Fielding ironisch meinte: »Sagen Sie stopp.«
    Es war Cognac, ein billiger noch dazu, wie Dalziel argwöhnte, allerdings nicht wegen seiner besonderen Kennerschaft dieser Spirituose, sondern schlicht und einfach weil seine Geschmacksknospen sie mit der Weichheit seines Lieblings-Malts verglichen hatten. Seine Reaktion musste sich irgendwie in seiner Miene gespiegelt haben. Dass er damit unversehens Fielding die ihm unterstellte Herablassung heimgezahlt hatte, merkte er, als der Alte sagte: »Tut mir leid, dass er nichts taugt, aber zurzeit müssen wir alle Opfer bringen.«
    »Der ist schon in Ordnung. Genau das Richtige bei diesem Wetter«, sagte Dalziel, leerte sein Glas und hielt es Fielding zum Nachfüllen hin.
    »Das Wetter. Ja. Der dumme Junge. Ich hoffe, dass er wohlauf ist. Weit weg geht er ja nie. Wenigstens solange Conrad – das ist sein Vater, mein Sohn – noch lebte, hat er das nie getan.«
    »Hing wohl sehr an seinem Dad, was?«
    »Sehr«, sagte der Alte bestimmt.
    »Aber selbst da lief er schon weg?«
    »Allerdings. Das liegt in der Familie. Conrad ist als Junge auch immer ausgerissen. Ich selbst bin 1914 abgehauen, um zur Armee zu gehen. Sechzehn war ich damals.«
    »Haben sie Sie genommen?«, erkundigte sich Dalziel.
    »Damals nicht. Ich sah sehr jung aus. Wir
waren
ja damals auch jünger. Die ganze Chose mit der Pubertät, in meiner Generation fing alles viel später an. Heutzutage kommen sie ja fast schon mit Suspensorium und Büstenhalter auf die Welt.«
    Fielding lachte rauh.
    »Na, egal. Aus heutiger Sicht kann ich von Glück sagen. 1916 wurde ich dann ganz legal zwangsrekrutiert, und sechs Monate später wäre ich am liebsten schon wieder abgehauen, diesmal nach Hause.«
    »Es muss grauenhaft gewesen sein«, sagte Dalziel, Mitgefühl heuchelnd, »der ganze Schlamm.«
    »Schlamm? Aber wo. Ich habe nicht die Gräben gemeint. Die habe

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