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Ein nasses Grab

Ein nasses Grab

Titel: Ein nasses Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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auf meine Bude. Dort hab ich mein ganzes Zeug.«
    Er führte Dalziel in einem Tempo die Treppe hoch, dass diesem die Luft schon knapp wurde, als sie den ersten Absatz erreichten. Als er zurückblickte, sah er Mavis am Fuß der Treppe stehen. Sie verfolgte ihren Aufstieg mit der teilnahmslosen Intensität einer Totemmaske.
    Der Raum, in den Uniff ihn brachte, war riesig. Das Muster der ausgebleichten und zerrissenen Tapete ließ darauf schließen, dass es sich um das ehemalige Kinderzimmer handelte, weitere Indizien dafür gab es allerdings nicht mehr. Keine kaputten Schaukelpferde, keine entstellten Teddybären, nur ein überdimensionaler Tisch übersät mit Papier und Fotomaterial und am anderen Ende des Zimmers eine Trickfilmkamera umgeben von Scheinwerfern.
    »Bitte sehr«, sagte Uniff stolz. »Was halten Sie davon, Mann?«
    »Die müssen damals verdammt große Familien gehabt haben«, antwortete Dalziel.
    »Was? Oh! Yeah. Lag wahrscheinlich an den langen Winternächten, wenn die Laterna magica hin war.«
    Uniff schlenderte zur Kamera hinüber, drehte einen der Scheinwerfer so, dass er direkt auf sein Gesicht gerichtet war, und schaltete ihn ein.
    »Okay, Kapitän. Aber ich sag’s Ihnen noch einmal. Ich hab überhaupt keine Ahnung nicht.«
    »Das ist also Ihr Film?«, fragte Dalziel, der verständnislos ein riesiges Plakat beäugte, das an die Wand geheftet war. Darauf war eine Reihe von Zeichnungen geklebt, insgesamt vielleicht fünfzig, wie bei einem Comicstrip, nur dass sich Dalziel die Reihenfolge der Ereignisse nicht erschloss.
    »Ich dachte schon, Sie würden nie fragen«, sagte Uniff und schaltete sein Licht aus. »Ja, das ist mein Storyboard. Ich hab hier ein paar unbearbeitete Kopien. Wollen Sie sie sehen?«
    Wie alle Besessenen hegte auch er keinen Zweifel, wie die Antwort ausfallen würde, sondern zog die Verdunklungsrollos herunter und ließ den Projektor laufen.
    Auf der Leinwand erschien der Buchstabe O. Er verwandelte sich in einen menschlichen Kopf. Eine Steinzeitkeule tauchte auf und schlug auf den Schädel ein. Der Mund öffnete sich, und heraus kam eine Sprechblase mit dem Buchstaben O darin, der sich jetzt in eine Brust verwandelte. Diese wurde von einer Hand liebkost. Die Reaktion darauf war wieder ein O. In der Folge wurde jeder Teil des menschlichen Körpers von dem Buchstaben dargestellt und dann auf mehr oder weniger passende Weise attackiert oder stimuliert. Die Reaktion war immer dieselbe.
    Die Animation war intelligent gemacht, manchmal von obszönem Witz, doch Dalziel bezweifelte sehr, dass das in dieser offenherzigen Zeit gerichtlich verfolgbar war.
    »Es geht um Sprache«, erklärte Uniff. »Mave macht die Animationen. Nicht schlecht, was? Noch haben wir keinen Ton. Das ist ein Problem. Was meinen Sie? Müssen wir diese Os vokalisieren?«
    Der Film lief weiter. Schließlich präsentierte ein Steinzeitdoktor seinem Steinzeitpatienten eine Rechnung. Der Mund rundete sich zu einem O, die Augen zu zwei weiteren, dann dehnten sich alle aus, bis sie zu einem Buchstabenhagel explodierten.
    »Wie gefällt er Ihnen?«, fragte Uniff, als der Film sich seinem Ende zuneigte. »Kommerz ist die Mutter der Sprache. Nicht Liebe, Hass, Religion, Sex, sondern Geld.«
    »Na ja«, sagte Dalziel. »Sehr lang ist er nicht.«
    »Mensch, das ist doch bloß die Eingangssequenz. Als Nächstes kommt ein historischer Überblick. Die Buchstaben und Wörter sind die Darsteller, kapiert? Alle Sprachen, alle Literaturen. Es ist sehr komisch, Mave hat wahre Wunder vollbracht. Die ganze Zeit gibt es einen Kampf zwischen den verschiedenen Funktionen von Sprache. Am Ende kommen Figuren dazu, bis dann Formeln aus der Kernphysik dominieren. Und schließlich fliegt alles in die Luft, und wir sind wieder bei O.«
    »Interessant«, meinte Dalziel. »Ich mag gute Zeichentrickfilme. Lassen sich wahrscheinlich billiger machen als richtige, oder?«
    Er hatte nur einen Köder ausgeworfen auf der Suche nach einem Anhaltspunkt, woher das Geld für das Projekt kam, doch Uniff zog wütend die Rollos hoch, riss einen großen Umschlag von einem Regal und schüttelte Dalziel etwa ein Dutzend glänzende 10 × 15-Fotos in den Schoß.
    »Können Sie damit mehr anfangen, Superintendent?«
    Dalziel sah sie mit ernstem Interesse durch. Er gehörte nicht zu denen, die Nahaufnahmen einer Vagina besonders inspirierend fanden, auch nicht, wenn ihre Besitzerin ein »Einfahrt verboten«-Schild auf die Innenseite des Schenkels tätowiert

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