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Ein nasses Grab

Ein nasses Grab

Titel: Ein nasses Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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dann den Jungen sicher sofort hätte sehen wollen. Bonnie hatte ein Recht darauf, eine Weile mit ihm allein zu sein. Er war zwar nur zwei Tage weg gewesen, doch Dalziel schätzte, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis er fortgehen und sehr viel länger nicht zurückkehren würde. Und so steuerte er den antiken Rover über die mit Rillen und Schlaglöchern übersäte Auffahrt, ohne ein Wort über den Jungen zu verlieren.
    Fielding war sehr still auf der kurzen Fahrt, und Dalziel unternahm keinen Versuch, das Schweigen zu brechen. In Orburn parkte er den Wagen wieder auf dem eiförmigen Platz und sah zu, wie Herrie durch das gediegene Portal elegant die Bank betrat. Für einen Dichter hatte er eine überraschend steife und militärische Haltung. Doch vielleicht war es auch nur der Kontakt mit der Welt des Kommerzes, der diesen Wandel hervorrief.
    Dalziels erster Besuch galt wie am vergangenen Tag der Apotheke. Die Verkäuferin lächelte wissend, als er den Apotheker selbst zu sprechen verlangte. Sie glaubt, ich will eine Packung Gummis, dachte Dalziel und blickte sie so unverschämt an, dass sich zuerst ihr Lächeln und dann auch sie selbst rasch verflüchtigte.
    »Ja, bitte«, sagte der Apotheker, ein Mann mit einem Profil wie Douglas Fairbanks und einem Mal auf seiner linken Wange, das wie eine Duellnarbe aussah.
    Dalziel nahm ihn zur Seite und hielt ihm einen Zettel hin. Darauf hatte er PROPANANNAL (?) geschrieben.
    »Für welche Beschwerden würde man das nehmen? Bei der Schreibweise bin ich mir nicht sicher.«
    »Nun ja«, sagte der Apotheker misstrauisch. »Darf ich Sie fragen, warum Sie das wissen wollen?«
    Dalziel seufzte. Je weniger er in diesem Stadium seine polizeiliche Autorität einsetzen musste, umso lieber war es ihm.
    »Meine alte Mutter«, sagte er. »Sie ist sehr selbständig, aber wir machen uns doch große Sorgen. Verstehen Sie?«
    »Ich verstehe«, sagte der Apotheker, schon ein wenig zutraulicher.
    »Sie ist nicht von hier«, legte Dalziel nach.
    »Wenn das so ist«, sagte der Apotheker.
    Es stellte sich heraus, dass der Apotheker kein pensionierter romantischer Held war, sondern ein verkappter Arzt. Und als die Schleusen schließlich geöffnet waren, sah sich selbst Dalziel, der in ganz Yorkshire dafür berühmt war, dass er auch den gesprächigsten Zeugen mitten im Wort abwürgen konnte, außerstande, sie wieder zu schließen.
    In seiner Verzweiflung schnappte er sich aufs Geratewohl eine Packung aus dem nächsten Regal, zückte seine Brieftasche und suchte in der durch die Berechnung des Wechselgeldes entstandenen Zäsur sein Heil in der Flucht.
    Dennoch hatte sein Besuch sich gelohnt. Allerdings empfand er, als er dem Polizeirevier zustrebte, darüber keinen großartigen Triumph.
    An diesem Vormittag befand sich ein anderer Mann in Klausur mit Sergeant Cross. Etwas an der Art, wie Cross ihn als Detective Chief Inspector Balderstone vorstellte, gab Dalziel das Gefühl, dass die beiden gerade über ihn gesprochen hatten. Er war nicht überrascht. Es wäre schon merkwürdig gewesen, wenn Cross’ Bericht über einen hohen Polizeibeamten, der sich in Lake House aufhielt, in den oberen Etagen keine Reaktion gezeitigt hätte.
    Balderstones Haltung war sehr korrekt, aber zumindest anfangs sehr zurückhaltend. Er kann sich nicht entscheiden, ob ich ein voreingenommener Zeuge, ein unparteiischer Beobachter oder ein Angehöriger der Fünften Kolonne bin, dachte Dalziel. Und so ganz sicher war er sich selbst auch nicht.
    Nach etwa zehn Minuten hatte sich die Atmosphäre deutlich entspannt.
    »Hören Sie«, sagte Dalziel. »Ich bin nur zufällig hier. Was es auch ist, es ist Sergeant Cross’ Fall. Und was ist es? Na ja, es gibt zwei Todesfälle durch Unfall. Eigenartig, aber nicht kriminell, soweit wir das beurteilen können. Eine Frau und ein Mann sind verschwunden. Das passiert dauernd. Herrgott, auch ich bin nicht da, wo ich vor drei Tagen zu sein vorhatte, also bin auch ich in gewisser Weise verschwunden. Und zu guter Letzt haben wir einen Diebstahl. Das ist das einzige Verbrechen. Einfacher Diebstahl. Und, ich sag’s Ihnen ganz ehrlich, es würde mich nicht wundern, wenn der nicht bald heimlich, still und leise unter den Teppich gekehrt würde.«
    »Das verstehe ich nicht«, sagte Balderstone. Er war um die vierzig, mit dem eingedrückten Gesicht einer Bulldogge.
    »Ein Irrtum«, sagte Dalziel. »Der Schnaps – entweder gar nicht bestellt oder woanders gelagert. Ein Missverständnis

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