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Ein nasses Grab

Ein nasses Grab

Titel: Ein nasses Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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sie kam leidlich schnell zu den letzten vierundzwanzig Stunden.
    »Mein Leben war tragisch. Tragisch«, versicherte ihm Hereward.
    »Und in letzter Zeit sehr traurig«, pflichtete Dalziel ihm bei.
    »Traurig ist
nicht
das richtige Wort dafür«, schalt ihn Fielding. »Traurig ist … traurig. Was ich fühle, ist Verzweiflung. Eine Verzweiflung, die umso größer ist, als ich bis zu einem gewissen Grade an die Zukünftigkeit glaube. Es kann sein, dass wir weiterleben, Dalziel.«
    »Na hoffentlich«, sagte Dalziel.
    Zu seiner Überraschung merkte er, dass er es auch meinte. Dieser verfluchte Wein musste ihm doch zu Kopf gestiegen sein.
    »Nein. O nein. Denken Sie doch nach. Wenn wir Toten erwachen, wird es jedem von uns so sein, als hätten wir erst eine Sekunde zuvor die Schmerzen des Sterbens verspürt, die Explosion im Kopf, das Bersten der Lunge, die Finger, die sich um den Hals klammern. Was für ein Lärm wird das sein, das Schreien und Jammern! Gefolgt von einem großen Moment der Stille und des Erstaunens, wenn wir begreifen, dass es den Schmerz nicht mehr gibt.«
    »Na, das ist doch ein Grund zur Hoffnung«, sagte Dalziel mit Nachdruck. »Diese Toten, hatten Sie da jemand Speziellen im Sinn?«
    Doch der Alte hörte ihm gar nicht zu.
    »Doch hierauf wiederum wird eine solche Furcht vor der Fremdartigkeit und Ungewissheit dieses Erwachens einsetzen, dass alles, woran wir uns an dieser für immer unerreichbaren Vergangenheit erinnern – Sonnenschein, die Gerüche der See, die Freuden des Geistes und des Appetits, ja selbst die Qualen des Todes –, uns begehrenswerter erscheinen wird als all die sagenumwobenen Freuden der Unsterblichkeit. Selbst
Ihr
einsames, angstvolles und freudloses Dasein wird Sie mit Sirenengesang zurücklocken, Dalziel. Selbst das. Selbst das.«
    Er nickte mitfühlend und stülpte sich seinen Cognacschwenker auf der Suche nach den letzten paar Tropfen über die Nase.
    »Ich werde Ihnen sagen, was Sie sind«, sagte Dalziel, gereizt von dem ungehörigen Urteil über seinen eigenen Zustand. »Sie sind blau. Wir sollten uns auf den Heimweg machen.«
    Bevor ich hier fertig bin, sagte er sich grimmig, wird diesen Arschlöchern noch was ganz anderes leidtun, dafür werde ich sorgen.
    Der Alte schien seine Gedanken zu lesen.
    »Seien Sie doch nicht beleidigt, Dalziel. Ich trage Ihnen kein Mitleid an. Und ich bettle auch nicht um Mitleid. Nur um ein Publikum. Und im Gegenzug biete auch ich ein Publikum. Das ist das Beste, was wir füreinander tun können, Publikum sein. Sollen wir nach guter Varieté-Tradition mit einem Lied abgehen?«
    Er schlug mit einem Kaffeelöffel gegen sein Cognacglas, übernahm den aufklingenden Ton mit bemerkenswerter Genauigkeit und fing an zu singen:
    Ein Leben im Geiste ist wohl ein fein’ Ding,
    aber Mönch sein, das geht nicht mit einem Ring.
    Und so seltsam es klingt, es liegt auf der Hand,
    Herumhuren geht nicht mit zu viel Verstand.
    Die Kellner scharten sich besorgt, aber unschlüssig an der Küchentür. Die hohe Rechnung, inklusive üppiges Trinkgeld, war bereits beglichen worden, doch Dalziel vermutete, dass es weder Dankbarkeit noch die Hoffnung auf zukünftige Großzügigkeit war, die sie bewegungsunfähig machte, sondern die Fassungslosigkeit, dass solch eine Patriziergestalt die Ursache der Störung sein sollte. Dann erweiterte sich die Schar um den geschniegelten Direktionsassistenten, dessen Miene zu Entsetzen und Entrüstung gerann, als er Dalziel erkannte.
    »Kommen Sie, Herrie«, sagte Dalziel grimmig. »Fahren wir heim.«
    Er stand auf, schob dem Alten seine Hand unter den Arm und zog ihn sanft hoch.
    Draußen deponierte er den mittlerweile beinahe komatösen Fielding im Rover und schlug vor Anstrengung schnaufend die Tür mit seinem Hinterteil zu, lehnte sich schließlich daran und scheuerte sich am Türgriff. Chief Inspector Balderstone, der ein paar Sekunden später auftauchte, sah sich an einen Braunbären erinnert, den er einmal in einem Naturfilm von Disney dasselbe an einem Baum hatte tun sehen.
    »Bin ich froh, dass ich Sie noch erwische, Sir«, sagte er.
    »Hallo, mein Junge«, sagte Dalziel leutselig. »Sie waren aber schnell. Was haben Sie rausgefunden? Hab ich recht gehabt?«
    »Im Großen und Ganzen, ja, Sir. Aber dazu kommen wir gleich. Was noch wichtiger ist, sie haben Mrs. Greave gefunden.«
    »Und Sie meinen, das ist wichtiger?«, sagte Dalziel höhnisch. »Sie müssen noch viel lernen, Inspector. Wo haben sie sie denn

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