Ein neues Leben auf dem Jakobsweg
auch. Die meisten Pilger legen ein höheres Tempo als ich vor.«
»Du hast ja auch mehr Zeit als die meisten.«
Wir gingen eine kurze Weile, uns angeregt unterhaltend, bis auch Nadine sich verabschiedete:
»Machs gut, Mano, und - Buen camino.«
»Alles Gute, Nadine, Buen camino.«
Als ich Nadine vor mir sah, erschrak ich. Ich habe ihre Adresse nicht. Ihre Schönheit und Attraktivität war mir nicht verborgen geblieben. Und zufälligerweise wohnte sie nicht weit von mir entfernt. »Was soll das überhaupt«, ermahnte ich mich. »Ich weiß noch nicht einmal, ob sie verheiratet ist oder einen festen Partner hat. Sie hat mir von ihrem 18-jährigen Sohn erzählt.« Mehr wusste ich nicht aus ihrem Leben. Außerdem wollte ich nichts suchen.
Ich musste an meine verstorbene Frau Angelika denken. Bilder erschienen vor meinem inneren Auge. Es war im Februar 1989 gewesen, in der Eingangshalle des Kölner Hauptbahnhofes. Neben dem Blumenladen stand Angelika in ihrem sportlichen Trenchcoat. Es war ein wunderschöner Abend. Auf Anhieb waren wir uns sympathisch. Ganz besondere Umstände hatten unsere Lebenswege zusammengeführt. Wir sollten, ja mussten uns kennen lernen, brauchten nicht lange, um uns ineinander zu verlieben. Sie war eine wundervolle Frau. Intelligent, hübsch, einfühlsam und bezaubernd. In München haben wir zwei Jahre später unsere Liebe mit einer Hochzeit gekrönt. Angelika und ich liebten Reisen, fremde Länder, Kulturen, Religion, Menschen, Essen, Gerüche - die Welt mit allen Sinnen entdecken. Wir haben das Leben genossen und dafür gearbeitet.
Vier Jahre später änderte sich unser Leben von einem Augenblick zum anderen. Der Arzt hatte etwas Auffälliges an den Lymphknoten ertastet. Krebs war die Diagnose nach der Operation. Es traf uns wie eine Riesenaxt. Der Schock saß tief. Anderthalb Jahre kämpften wir, versuchten es mit verschiedenen Ärzten, Kliniken, Medikamenten, Naturheilverfahren und Beten. Die Krankheit war stärker. Exakt sieben Jahre nach unserer ersten Begegnung, auf den Tag genau, musste Angelika sterben.
Auf Bali haben ihr Bruder und ich, ihrem letzten Wunsch entsprechend, ihre Asche an einem wunderschönen Wasserfall beigesetzt. Während der Zeremonie, die ein Pedanda-Priester vollzog, setzte sich ein bunter Schmetterling auf meine Hand. Gerade so, als wolle er mich trösten. Leuchtendbraune Kinderaugen folgten dem Geschehen aus der Distanz. An ihren Blicken konnte ich erkennen, dass die Kinder nicht so recht wussten, was sich an ihrem Badeplatz ereignete. Mir erging es nicht anders. Es geschahen Dinge, die ich mit meinem Verstand nicht erfassen konnte. Ich wusste manchmal nicht, wie mir geschah.
Immer wieder musste ich über unseren Ausflug zweieinhalb Jahre vor der Bestattung nachdenken. Wir saßen mit Bärbel und Klaus aus Bayern in einem angemieteten Kleinbus, befanden uns im Norden von Bali unweit Singaraja. Unser balinesischer Fahrer fragte, ob wir einen Wasserfall besichtigen wollten, der sich mitten im Dschungel, umgeben von einzigartiger Natur, befand. Der Fahrer hatte nicht zu viel versprochen. Der Wasserfall sowie das satte Grün der üppigen Vegetation waren an Schönheit nicht zu überbieten. Doch hätte ich zu diesem Zeitpunkt geahnt, dass jener Ort die letzte Ruhestätte meiner geliebten Frau werden würde... Unglaubliches ereignete sich an diesem mystischen Platz. Bali, dachte ich. Was für ein magisches Wort - Bali. Elf Jahre waren seitdem vergangen.
Eine junge Blonde holte mich aus meinen Gedanken zurück auf den Camino. Inge war Dänin. Sie zog ein Bein nach, weil sie heftige Probleme mit ihrem Knie hatte. Ich schätzte ihr Alter auf 25 Jahre. Seltsamerweise hatten jüngere Menschen mehr Probleme während des Wanderns als ihre älteren Weggefährten. Ich erinnerte mich an den Diavortrag in Bad Breisig, als ein 65 Jähriger die Frage stellte, ob er nicht zu alt für die Pilgerschaft sei. »Das ist das beste Alter überhaupt«, bekam er zur Antwort. Die »Alten« waren gut unterwegs. Inge, groß und kräftig, versuchte trotz ihrer Schmerzen stets zu lächeln. Weil ihr Deutsch recht gut war, fand zwischen uns eine rege Unterhaltung statt. Einige Kilometer vor Santo Domingo stieß Alice zu uns, die von einem Paar begleitet wurde, das Hand in Hand wanderte.
»Das ist ein wunderschöner Anblick, ein Paar, das händchenhaltend pilgert«, sprach ich sie an. Sie lachten. Daraufhin nahm ich Inges und Alices Hände in meine. So wanderten auch wir Hand in Hand und
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