Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein neues Leben auf dem Jakobsweg

Ein neues Leben auf dem Jakobsweg

Titel: Ein neues Leben auf dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manolo Link
Vom Netzwerk:
gewähren würde. So ging ich ins nächste Restaurant und vertrieb mir die Wartezeit mit Café con leche und einem kleinen Imbiss. Meine Füße, wie auch der Rest meines Körpers, waren froh, mal nicht mit einigen Kilos Mehrgewicht über Stock und Stein gehen zu müssen.
    Gegen halb fünf verließ ich das Restaurant und betrat mit einer leichten Anspannung den Frisörsalon. Ein etwa 65jähriger grauhaariger Herr trat auf mich zu und blickte mich prüfend durch seine Hornbrille an. Ich versuchte ihm verständlich zu machen, dass ich einen kürzeren Haarschnitt und die Entfernung meines Bartes wünsche. Gleichzeitig machte ich ihn gestenreich darauf aufmerksam, dass ich einige Pickel im Gesicht hätte und er sein Werk deshalb vorsichtig verrichten möge. Meine Besorgnis rührte von vergangenen Nassrasuren her, die mir blutige Wunden beigebracht hatten. Mit einem stolzen Augenausdruck machte er mir klar, dass meine Ängste absolut keine Berechtigung hätten. Ich war trotzdem aufgeregt. Schließlich hatte zuvor noch kein menschliches Wesen ein scharfes Messer an meine Kehle geführt. Zudem war ich mir nicht sicher, ob der liebe Mensch, der sich in aller Ruhe an sein Tagewerk machte, auch alles in meinem Sinne verstanden hatte. Das Einpinseln meines Kinns glich einem künstlerischen Akt und war schon ein Erlebnis für sich. Er war wirklich ein Fachmann, der keinem meiner Pickel zu nahe kam. Den nachfolgenden Haarschnitt meisterte er genauso präzise wie die Bartrasur. Mein Frisör schien mit seiner Arbeit ebenso zufrieden zu sein wie ich, als er mir Rasierwasser gewandt auf Wange und Hals tupfte. Respektvoll gab ich ihm zu verstehen, dass ich von seiner Arbeit sehr angetan sei und mich glücklich schätzte, ohne Blessuren davon gekommen zu sein. Mit einer eindeutigen Handbewegung signalisierte er mir, dass er ein Meister seines Fachs sei. Und das war er auch.
    Als ich aus dem Salon trat, kam ich mir wie neugeboren vor. Mein Haarschnitt gefiel mir, obwohl mich meine Eltern und Freunde, wenn sie mir an diesem Tage auf der Straße begegnet wären, nicht wieder erkannt hätten. Nach einem Spaziergang durch Santo Domingo ging ich zur prächtigen gotischen Kathedrale, die mit zwei Highlights aufwartete: dem Grab des Heiligen Santo Domingo aus dem 13. Jh. und dem Käfig mit zwei lebenden Hühnern.
    Die Legende erzählt von einem Ehepaar, das mit seinem Sohn auf der Pilgerfahrt nach Santiago in einem Wirtshaus in Santo Domingo übernachtete. Wie es das Schicksal wollte, verliebte sich die Wirtstochter in den Jüngling. Dieser wollte nichts von ihrer Liebe wissen und zog am nächsten Tag mit seinen Eltern weiter. Die entrüstete Wirtstochter hatte einen silbernen Becher in das Gepäck des jungen Mannes gesteckt und zeigte ihn des Diebstahls an. Der Becher wurde entdeckt und der Sohn zum Tode durch Erhängen verurteilt. Als die Eltern nach Vollstreckung der Todesstrafe noch einmal zum Baum gingen, an dem ihr Sohn hing, stellten sie überrascht fest, dass dieser noch lebte, weil Santo Domingo ihn an den Beinen stützte. Das Ehepaar begab sich zum Richter, um ihm von dem Wunder zu berichten, das ja schließlich die Unschuld des Sohnes bewies. Der Richter saß gerade am Mittagstisch. Vor ihm ein Teller mit zwei gebratenen Hühnern. Er sagte zu dem Ehepaar, dass ihr Sohn genauso lebendig sei wie die Hühner auf seinem Teller. In diesem Moment flogen die beiden Hühner auf und davon.
    Deshalb leben in der Kathedrale, in einem großen Käfig, ein weißer Hahn und eine weiße Henne, die wöchentlich ausgetauscht werden. Dies ist einer der berühmtesten Legenden des Jakobsweges. In vielen Kirchen dieser Welt findet man Darstellungen dieser Legende. Wenn beim Betreten der Kathedrale der Hahn kräht, dann ist dies, der Sage nach, nicht nur ein absoluter Höhepunkt, sondern soll demjenigen, der ihn hört, viel Glück auf seinem weiteren Lebensweg bescheren. Weil ich die Kathedrale geschlossen vorfand, betrachtete ich sie von außen.
    Einen Herrn, Mitte sechzig mit grauem Haar, adrette Erscheinung, fragte ich nach den Öffnungszeiten. Er teilte mir freundlich mit, dass um acht die Messe gelesen und eine halbe Stunde vorher die Pforten geöffnet würden. Dann fragte er mich, ob ich mit ihm im benachbarten Parador-Hotel einen Kaffee trinken möchte. Ich bedankte mich für die Einladung und folgte ihm unsicher, weil es sich um ein Vier-Sterne-Hotel handelte und sich an meinen Füßen Badeschlappen befanden. Der Mann, den alle im Hotel zu kennen

Weitere Kostenlose Bücher