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Ein neues Leben auf dem Jakobsweg

Ein neues Leben auf dem Jakobsweg

Titel: Ein neues Leben auf dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manolo Link
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ich mich gerne, fühlte mich losgelöst von dieser Welt und gleichzeitig dem Unendlichen zugehörig, in einem klitzekleinen berechtigten Sinne meines Existierens.
    »Was ist Zeit?«, fragte ich mich. »Ich habe keine Zeit!« Wie oft höre ich diesen Satz. Wenn die Menschen wüssten, wie recht sie mit dieser Aussage haben. Ich glaube, dass Zeit überhaupt nicht existiert und lediglich eine Erfindung der Menschheit ist. Niemand kann die Zeit nachweisen. Eine Uhr kann mir jemand zeigen, ihre Zeiger, einen Kalender, Zahlen, Sonnenauf- und Untergang - aber sind dies Beweise für die Existenz von Zeit? Es gibt keine Zeit und es gibt keinen Raum. Den Nachweis für Raum kann ebenso niemand erbringen. Jemand kann mir ein Zimmer zeigen, das Innere eines Gebäudes oder den Himmel. Aber Raum kann mir niemand zeigen. Ich liebte es, zu philosophieren, stand auf und stieg den Hang hinauf.
    Von der Anhöhe aus sah ich die Herberge, die von den starken Zitterpappeln wie beschützt wirkte. Ein friedvoller Ort. Auf dem Rückweg kam mir eine junge Frau mit strahlend blauen Augen entgegen. Angelika, deren Gesicht Erinnerungen in mir wach rief, war in Burgos auf den Jakobsweg gestartet. Sie hatte nicht nur den gleichen Namen wie meine verstorbene Frau, sondern zudem eine verblüffende Ähnlichkeit mit ihr. Inzwischen hatte sich die Herberge gefüllt. Beim Abendessen saßen 14 Personen an einem großen Holztisch. Mit bescheidenen Mitteln bereiteten Giulio und sein spanischer Freund in der kleinen Küche ein Abendmahl zu. Vor dem Essen beteten wir gemeinsam und bedankten uns für Speis und Wohlergehen. Es herrschte eine andächtige Stimmung.
    Während ich von meinen Erlebnissen an jenem Morgen erzählte, schauten mich meine Zuhörer interessiert und verwundert an. Nach dem Essen stimmten die ersten in einen Gesang ein. Dieser Tag, fühlte ich, war ein ganz besonderer in meinem Leben. Davon gibt es nicht viele. Um elf legte ich mich ins Bett, zog die schwere Wolldecke über meinen Schlafsack und musste an die Bibelseiten und Gott denken.
    Mitten in der Nacht wurde ich wach. Es war stockfinster. Ich musste zur Toilette, obwohl mir der Gedanke, aus meinem warmen Schlafsack zu steigen, absolut nicht behagte. Weil ich die anderen Pilger in ihrem Schlaf nicht stören wollte, benutzte ich keine Taschenlampe, zog Hose und Hemd so leise wie möglich an und ging hinaus in die kalte Nacht. Mit Erstaunen und Ehrfurcht blickte ich in einen Sternenhimmel, den ich in dieser Form nie gesehen hatte. Das Firmament schien nur aus Leuchten und Strahlen zu bestehen. Ich musste an das Wort »Himmelszelt« denken, das aus längst vergangenen Zeiten in mein Gedächtnis kam. Obwohl sich die Luft eisig anfühlte, zwang ich mich, draußen zu bleiben. Solch ein außergewöhnlicher Anblick würde sich mir vielleicht kein zweites Mal in meinem Leben bieten. Irgendwann trieb mich die Kälte doch zurück in die Herberge. Glücklicherweise befand sich mein Bett, das ich tastend erreichte, unmittelbar neben der Tür. Mit Milliarden leuchtender Sterne vor meinem inneren Auge schlief ich friedlich ein.
    Ich war einer der letzten, die sich am nächsten Tag von Giulio und seinem Freund verabschiedeten. Der Jakobsweg versetzte mich immer mehr ins Staunen. Aus der Ferne grüßte das Templerkreuz. Wieder liefen kalte Schauer meinen Rücken hinunter. Bilder des vergangenen Tages wurden in mir wach. Ich ging langsam. Ruhe, Frieden und Glück waren tief in meinem Herzen. Der Tag war neugeboren, der gestrige vergangen. Nie würde er wiederkehren. Ich hätte die Ereignisse gerne festgehalten, umarmt - nochmals und nochmals gefühlt. Doch ich wusste, dass ich loslassen musste, sie nicht festhalten konnte. Ich nahm die Erlebnisse mit in meiner Erinnerung, im Herzen und in meinem Glauben. Sie hatten meinen Glauben auf eine Weise gestärkt, wie ich es nie zuvor erlebt hatte.
    Der vergangene Tag hatte mich zudem Bedeutendes gelehrt. Mir wurde bewusst, dass diese Lehren nicht ausschließlich für mich alleine gedacht waren. Meine Erfahrungen würde ich gerne weitergeben, weitergeben an meine Mitmenschen. Ich kam zu der Überzeugung, dass alle Menschen dem gleichen Ziel zustreben. Unser aller Ziel ist die Liebe, die unendliche Göttliche Liebe, die alles beinhaltet, was unsere Seele braucht, um glücklich zu sein. Dieser Liebe zuzustreben, ist der Sinn des Lebens. Deshalb fühlen Menschen eine Sehnsucht, die sie auf den Weg zur universellen Liebe führt. Alle gehen und befinden sich auf

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