Ein neues Leben auf dem Jakobsweg
breit nichts als Getreidefelder, in die sich hin und wieder eine Mohnblume verirrt hatte. Der Himmel präsentierte mir weiße Wolken vor einem angeberischen Blau. In jenem Moment hatte ich das Gefühl, mich selbst wiedergefunden zu haben. »Soy Manolo«, sagte ich laut in die unendliche Weite. »Soy Manolo.« Der Name fühlte sich stark an. Er gab mir Kraft. Ängste, Hoffnungslosigkeit und mangelndes Selbstbewusstsein, die noch vor Monaten meine ständigen Begleiter gewesen waren, hatten sich aufgelöst und verabschiedet. Nach der Melodie von Guantanamera sang ich: »Yo soy un hombre Manolo, yo soy un hombre Manolo, yo soy un hombre Manolo... Guantanameragueria Guantanamera ...« Ich war glücklich wie lange nicht mehr in meinem Leben. »Danke, lieber Gott, danke für all die schönen Dinge, die ich hier auf diesem großartigen Weg erleben darf. Danke!«
Glücklicherweise war der liebe Gott meiner Aufforderung, zwei Männer auf meine Schultern zu setzen, nicht nachgekommen. Schön, dass er nicht jeden Wunsch erfüllt. Ich musste lachen und trällerte lauthals weiter Guantanamera in den klaren Tag. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde mir bewusst, dass ausgerechnet »Freitag der 13.« zu meinem neuen Geburtstag wurde.
Vor mir am Wegesrand entdeckte ich ein eisernes Templerkreuz. Etwa drei Meter hoch. Die pfeilartigen Spitzen waren, wie so oft bei dieser Art von Kreuzen, rot bemalt. Geistesgegenwärtig nahm ich mir einen großen Stein und bestieg den kleinen Steinhaufen, den Pilger rund um das Kreuz gebildet hatten. Im gleichen Moment, als ich den Stein aus meinen Händen legte, blitzte etwas Weißes unter einem Stein auf. Mein Herz schlug schneller. Mit der rechten Hand hob ich den Stein an und zog mit der Linken sorgsam gefaltete feine Blätter Papier hervor. Meine Haare sträubten sich, mein Pulsschlag erreichte Rekordwerte. Wieder waren es Seiten aus der heiligen Bibel. Und erneut Worte aus dem Markusevangelium, wie bereits am ältesten Gebäude des Jakobsweges. Fassungslos begann ich zu lesen: Und da er hinausging auf den Weg, lief einer herzu, kniete vor ihm nieder und fragte ihn: »Guter Meister, was soll ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?« Aber Jesus sprach zu ihm: »Was heißest du mich gut? Niemand ist gut als allein Gott. Du weißt die Gebote: Du sollst nicht töten, du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch Zeugnis reden, du sollst niemand berauben, ehre Vater und Mutter. « Er aber sprach zu ihm: »Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf« Und Jesus sah ihn an und liebte ihn und sprach zu ihm: »Eines fehlt dir. Gehe hin, verkaufe alles, was du hast, und gibs den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm, folge mir nach und nimm das Kreuz auf dich. « Er aber ward unmutig über das Wort und ging traurig davon, denn er hatte viele Güter. Und Jesus sah um sich und sprach zu seinen Jüngern: » Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen ...«
Ich sank auf die Knie, faltete meine Hände in dem sicheren Gefühl, dass die Seiten aus der Bibel für mich bestimmt waren, und betete: »Lieber Gott, ich folge dir und vielen Dank für all das, was du mir gegeben hast. Und vielen Dank, dass du mir immer wieder geholfen hast.« Mit tiefsten Gefühlen der Liebe und zitternden Knien stand ich auf und ging ein paar Schritte, bis ich mich unterhalb des Kreuzes neben einem kleinen knorrigen Baum wiederfand. Mein Blick verlor sich im Himmel. Mir war, als wenn ein weiches, kristallenes Licht mich in sich einschlösse. Ich fühlte eine liebliche Wärme, die sich wie ein schützender Mantel um mich legte. Ich fühlte mich wie von Liebe umschlungen. Ich fühlte eine wahre, reine Liebe, nichts als Liebe. Unendliche, raum- und zeitlose Liebe. Das Gefühl war so wundervoll, dass ich für den Rest meines Lebens nichts anderes mehr ersehnte. Nur diesen einen Moment, in dem alles vorhanden war. Das ganze Universum, die ganze Welt. Alle Liebe dieser Welt war in diesem einen Augenblick. Das ist Gott! Ja, ich war mir sicher - das ist Gott! In jenem Moment fühlte ich die Anwesenheit Gottes. Ich bekam eine andere Sichtweise davon, was und wer Gott überhaupt sei. Gott war kein alter Mann mit einem weißen Bart, der im Himmel auf einem Thron sitzt und über die Menschen richtet. Gott ist Liebe, reinste Liebe, Gott ist in allem und alles ist in Gott. In mir fühlte ich ein vollkommenes unerschütterliches Vertrauen und einen absoluten festen
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