Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein neues Leben auf dem Jakobsweg

Ein neues Leben auf dem Jakobsweg

Titel: Ein neues Leben auf dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manolo Link
Vom Netzwerk:
wundervoll. Die Menschheit braucht gute Vorbilder, die ein friedvolles Mit- und Nebeneinander vorleben und erklären, wie es funktionieren kann. Vorbilder wie Jesus Christus, Buddha, der Dalai Lama oder Mahatma Gandhi. Auch der Jakobsweg ist ein gutes Vorbild, weil er die Nationen zusammenführt.
    Ich ging langsam weiter und nahm die Natur bewusst wahr. In Villavante, einem kleinen Nest, das wie ausgestorben wirkte, ging ich in eine alte Bar. Ich war der einzige Gast. Ein alter Spanier nahm sich meiner an. Auf meine Bestellung hin reichte er mir einen Café con leche und ein Bocadillo mit Serrano-Schinken. Zwei junge Frauen traten ein, kauften Zigaretten und verschwanden wieder. Der Schinken war so hart und zäh wie meine Schuhsohlen. Wahrscheinlich hatte er ein langes Leben unter einem verqualmten Kneipendach hinter sich. Beim Hinausgehen entdeckte ich an der Tür einen Hinweis, auf dem zu lesen war, dass die Bar zum Verkauf angeboten wurde. Das stimmte mich traurig.
    Niemand begegnete mir, als ich Villavante verließ. Es war heiß. Die Natur schien in einen tiefen Schlaf gefallen zu sein. Mir kam es so vor, als wäre ich alleine auf der Welt. Eine konkrete Vorstellung, wie weit ich noch zu gehen im Stande war, besaß ich nicht. Meiner Achtsamkeit wollte ich Gehör schenken. Wenn mich die Vorsehung an jenem Tage dort haben wollte - gut. Wenn es ein anderer Ort sein sollte - auch gut.
    In Hospital de Órbigo wanderte ich über die imposante Römerbrücke und fühlte neue Energie in mir. Vielleicht dürfen es noch ein paar Kilometer mehr sein. Kurz vorm Ortsausgang, neben einer privaten Herberge, begrüßte mich ein Pilgerpaar aus Kanada, das ich kannte. Sie schwärmten geradezu von der Herberge. Auf ihren Rat hin trat ich ein. Sie hatten nicht zuviel versprochen. Die Wände schmückten etliche Gemälde. Eine Malerin saß vor einer Staffelei und zeichnete eine Ansicht aus der Provence. Bewundernd folgte ich ihrem künstlerischen Wirken.
    Im stilvollen Garten traf ich zu meiner Freude auf Gertrud, die nicht mehr so niedergeschlagen wirkte. Ihr Bein ruhte auf einem Stuhl. Sie erzählte mir, dass sie sich in Órbigo mit Carla und Marion für den morgigen Tag verabredet habe. Und dass sie die einzelnen Etappen mit dem Bus zurücklege in der Hoffnung, vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt noch einige Kilometer wandern zu können. Ich hoffte für sie und blieb in einer der schönsten Herbergen auf dem gesamten Weg.
    Der Schlafsaal, ausgestattet mit Holzbetten und gelbblauen Bezügen, ließ jedes Pilgerherz höher schlagen. Ich war gerade im Begriff, meinen Schlafsack auf einem Bett auszubreiten, als ich in einer Ecke eine Christus-Statue mit ausgebreiteten Armen und offenen Händen erblickte. Ich mochte diese Art von Kunstwerken und schätzte mich glücklich, an diesen Ort geführt worden zu sein. Wenn das Paar aus Kanada mich nicht auf die Herberge aufmerksam gemacht hätte, wäre ich weitergewandert.
    Ich ging in den Ort und rief Conni von einer öffentlichen Telefonzelle aus an. Während ich ihr von meinen Erlebnissen erzählte, zogen die zwei jungen Frauen aus Alaska an mir vorbei. Kurze Zeit später erschien Norman. Conni musste lachen, als ich ihr live von meinen Bekanntschaften berichtete.
    Hundert Meter vor der offiziellen Herberge beobachtete ich, wie ein blauer Kleinbus am Straßenrand eingeparkt wurde. Drei Männer und drei Frauen stiegen aus, schulterten ihre Rucksäcke und machten sich auf den Weg zur Herberge. Mir kam ein Verdacht. Ich wusste, dass es Touristen gab, die Pilgerunterkünfte als billige Übernachtungsmöglichkeiten nutzen und den Pilgern, die nach kilometerlanger Wanderung müde waren, die Betten wegnahmen. Kurzentschlossen folgte ich ihnen in die Herberge. Während sie ihre Pilgerausweise abstempeln ließen, fragte ich sie auf Spanisch, ob sie auch wirklich Pilger oder aber mit dem Auto unterwegs seien. Gestenreich gaben sie mir zu verstehen, echte Pilger zu sein. Daraufhin zeigte ich auf ihre Schuhe, die sauber waren und nicht aussahen, als wären sie mit staubigen Feldwegen in Kontakt gekommen. Der Herbergsvater sah mich nachdenklich an, schien sich seiner Sache nicht sicher, stempelte trotzdem weiter die Pässe der Menschen, von denen ich glaubte, dass es sich nicht um echte Pilger handelte. Mit einem schlechten Gefühl im Magen verließ ich die Herberge. Ich fand es dreist, was die »Autopilger« sich erlaubten. Dachten sie keinen Augenblick an diejenigen Pilger, welche 20, 30, 40 oder

Weitere Kostenlose Bücher