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Ein neues Paradies

Titel: Ein neues Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Dominik
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geheimnisvolle und wunderbare Strahlung eines neuen Urstoffes, und emsig ging sie daran, die Dinge zu studieren, zu verstehen, zu bezwingen und nutzbar zu machen.

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    Allerorten blühte die Radiumforschung in den Jahren von 1904 bis 1910, ganz besonders aber in England und Schottland, wo die geschickten und glücklichen Hände eines Rutherford, eines Ramsay und eines Soddy einen Schleier nach dem anderen von dem großen Geheimnis abnahmen und tief in den Bau der Materie eindrangen, so tief, daß zum ersten Male das bisher Unmögliche und Unglaubliche geschah, daß irdische Augen die einzelnen Atome frei durch den Raum fliegen sahen.
    Im Jahre 1908 war das große Geheimnis gelöst. In unveränderter Schönheit glänzte das alte Gesetz von der Erhaltung der Energie und des Stoffes. Alle Erscheinungen der radioaktiven Materie ordneten sich ihm glatt unter. Man wußte jetzt, daß das Atom, das unzerschneidbare, das man so lange als den einfachen und unzerstörbaren Eckstein und Grundstein des Weltalls angesehen hatte, ein recht kompliziertes Ding sei. Man wußte, daß Atome, irgendwann und irgendwie von einem Schöpfer aus dem Äther zusammengeballt, auch wieder einstürzen können und daß dabei Energiemengen frei werden, denen gegenüber die Steinkohle recht harmlos erscheint.
    Und der schottische Radiumforscher Frederik Soddy setzte sich hin und schrieb eine neue Genesis, eine Geschichte der strahlenden und zerfallenden Materie, eine Geschichte, die also lautet: Im Anfang war das Uran. Und das Uran sandte α- Strahlen aus mit einer Geschwindigkeit von zweitausend Meilen in der Sekunde und lebte dabei siebeneinhalb Milliarden Jahre. Dann war es zu Ende, dann war es verbraucht, aber während seiner Strahlung hatte es das Radium erzeugt.
    Und das Radium lebte zweitausendfünfhundert Jahre, und es sandte dabei α-Strahlen aus mit einer Geschwindigkeit von achtzehnhundert Meilen in der Sekunde. Dann ging es ein, aber es hatte die Emanation gezeugt, ein feines strahlendes Gas.
    Und die Emanation lebte 5,3 Tage und sandte α-Strahlen aus mit einer Geschwindigkeit von zweitausendzweihundert Meilen in der Sekunde. Als sie einging zu ihren Erzeugern, da hatte sie selbst das Radium A gezeugt. Das lebte nur 4,3 Minuten und strahlte α-Strahlen aus mit einer Geschwindigkeit von zweitausendvierhundert Meilen in der Sekunde. Und als es starb, da hatte es das Radium B gezeugt, das lebte achtunddreißig Minuten, gab β-Strahlen und zeugte dann das Radium C. Und das Radium C lebte 30,5 Minuten und strahlte nach α, β und γ. Dann starb es, aber es hatte das Radium D gezeugt, das lebte siebzehn Jahre und strahlte nur einen Lichtäther aus. Dann ging es ein und zeugte das Radium E 1, welches 9,5 Tage lebte und das Radium E 2 zeugte, das sieben Tage lebte und wieder nach α, β und γ strahlte.
    Und das Radium E 2 starb nach sieben Tagen, aber es hatte das Radium F gezeugt, das in den anderen Büchern auch Polonium oder Aktinium genannt wird. Und das Aktinium lebte zweihundertdrei Tage und strahlte unaufhörlich nach α. Und als es das letzte µ-Teilchen herausgejagt hatte, da starb es, aber es hatte das Radium G gezeugt. Und das Radium G strahlt gar nicht mehr, denn es hat alle α-Teile ausgestoßen. Und weil es nicht strahlt, verändert es sich auch nicht mehr, sondern lebt ewig oder doch sicherlich so lange, wie sein Urahn, das Uran, das siebeneinhalb Milliarden Jahre alt wurde. Und dies Radium G kennen wir schon lange, wir nennen es Blei.
    So haben wir die Genesis, die Schöpfungs- und Zeugungsgeschichte, die uns vom niederbrechenden Uranatom durch eine Generation von Zwischenstufen zu den Endprodukten, zum Helium und zum Blei führt. Denn die α-Teilchen sind nichts anderes als Heliumatome, die mit zehnfacher Kometengeschwindigkeit in den Raum fahren, und das Endprodukt, das starr und tot liegenbleibt, wenn der gewaltige Atombrand verglüht ist, das ist eben das Blei.
    Diese Schöpfungsgeschichte trug Soddy seinen Zuhörern vor, und dann fuhr er fort:
    »Die Energie in einer Tonne Uran würde hinreichen, London ein Jahr lang zu beleuchten. Der Energievorrat im Uran würde tausendmal so viel wert sein als das Uran selbst, wenn wir ihn nur in der Gewalt hätten, so wie wir die in der Kohle aufgespeicherte Energie in unserer Macht haben. Es ist in der Tat eine seltsame Lage, in der wir uns befinden. Der erste Schritt in der langen Reihe aus der Barbarei zur Zivilisation, die der Mensch gemacht hat, scheint die Kunst des Feuermachens

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