Ein neues Paradies
dieses ganzen Werkes seine Tage in ruhigem Dasein verbrachte, arbeiteten auf der Zeche ›Else-Tiefbau‹ die Belegschaften mit drei Schichten von je acht Stunden unermüdlich am Absenken des Schachtes. Sie übernahmen den Bau in dreitausendfünfhundert Meter Teufe am Ende der goldhaltigen Quarzschicht und sprengten hier an der Grenze der Lavaschicht erst einmal eine Maschinenhalle von hundert Metern im Geviert Grundfläche und dreißig Meter Höhe aus, um einen bequemen Arbeitsort und den Raum für die Aufstellung der neuen Fördermaschinen zu gewinnen. Dann aber wurde der eigentliche Schacht vorgenommen und in der alten Mächtigkeit von acht Metern im Durchmesser mit rundem Querschnitt durch die Lavamasse vorgetrieben. Unaufhörlich ratterten die Bohrmaschinen, hatten sie zwei Meter gebohrt, so wurde die Dynamitladung eingebracht und das Gestein auf zwei Meter Tiefe weggeschossen. Es folgte das Abräumen der Gesteinstrümmer, und zwei Stunden später waren die Bohrmaschinen schon wieder an Ort und Stelle und begannen ihre Arbeit von neuem.
So ging es unaufhörlich das erste und das zweite Jahr. Dann war die Grenze der Lavaschicht erreicht, und an Ort und Stelle konnte man sich überzeugen, wie das Wasser in dem ehemaligen Bohrloch gewirkt hatte, als es auf das Karbid getroffen war. Wie etwa ein hohler Zahn sah die Grube hier aus. Eine Höhlung von gut einem Meter im Durchmesser und zwei Metern in der Länge war zackig und unregelmäßig in das Gestein gefressen, bis dann das Öl dem Wasser das Handwerk gelegt hatte, und das Bohrloch wieder glatt und sauber weiterführte.
Bis zur Grenze der Lavaschicht war der Schacht im Laufe von zwei Jahren abgeteuft, und durch Berieselung der Wände hatte man bis hierher der wachsenden Temperatur Herr werden können. Sobald aber die Grenze der Lavaschicht erreicht war, mußte jedes Wasser sorgfältig ferngehalten werden. Anstatt dessen legte man an den Wänden des Schachtes eiserne Röhren, die von gewaltigen Kältemaschinen ständig mit einer etwa dreißig Grad kalten Salzlösung gespeist wurden. Auf diese Weise herrschte im Schacht selbst eine annehmbare Temperatur, während das Gestein an der unteren Grenze der Lavaschicht doch bereits hundertfünfzig Grad hatte. Danach brachte man die Schachtzimmerung bis zur Grenze der Lavaschicht ein und setzte die neuen Fördermaschinen in Betrieb. Am Ende des dritten Jahres konnte die Karbidförderung aufgenommen werden. Schon während der eigentliche Förderschacht endgültig fertiggestellt wurde, hatte man in der Karbidschicht selbst vier gradlinige Strecken nach den vier Himmelsrichtungen angelegt und jede derselben zweihundert Meter weit in das Karbid vorgetrieben. Jetzt wurden in je fünfzig Meter Abstand Querschläge angesetzt, die diese Hauptstrecken unter sich verbanden, und nun konnte die eigentliche Förderarbeit beginnen.
Im Gegensatz zur Kohle, die ja immer nur in dünnen Flözen vorkommt, hatte man hier ein mächtiges natürliches Lager von unabsehbarer Ausdehnung vor sich. Die Studiengesellschaft hatte alles in allem etwa dreißig Millionen verbaut. Dafür aber war nun ein Lager erschlossen, dessen Mächtigkeit jeden Gedanken einer Erschöpfung innerhalb irgendwelcher angebbaren Zeit zunichte machte. Man war ja in das natürliche Karbidlager gekommen, das die ganze Erdoberfläche ziemlich gleichmäßig bedecken und in unbekannte Teufen reichen mußte.
Freilich machte der Abbau noch einige Schwierigkeiten, denn das Karbid hatte an den soeben bloßgelegten Flächen eine Temperatur von hundertfünfzig bis hundertachtzig Grad. Besonders zum Schießen mußten Sicherheitssprengstoffe verwandt werden, die bis zu zweihundert Grad völlig explosionssicher waren. Dafür aber war die Ausbeute auch über die Maßen vorteilhaft. Unter Zugrundelegung des alten Satzes, daß drei Kilogramm Karbid beim Zusammenbringen mit Wasser einen Kubikmeter Gas ergeben, lohnte es sich durchaus, die erhöhten Kosten für die Förderung und Kühlung in Kauf zu nehmen.
Als daher an einem Sonntag jenes dritten Jahres der Betrieb in vollem Gange war und die Direktoren der dritten Zeche ›Else-Tiefbau‹ sich versammelt hatten, konnte Rudolf Engelhardt mit Recht zu der folgenden Ansprache das Wort ergreifen.
»Meine Herren. Am heutigen Tag beginnt ein neuer Zeitabschnitt in der Technik der Völker. Wir haben als die ersten den Entschluß gefaßt, die weite öde Strecke zwischen der unteren Kohle und dem obersten Karbid zu durchstoßen. Andere werden
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