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Ein Noah von heute

Ein Noah von heute

Titel: Ein Noah von heute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Malcolm Durrell
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Londoner Zoo schicken wollte. Als er hörte, daß ich in dieser Gegend freilebende Tiere sammelte und die Absicht hegte, binnen kurzem nach England zurückzukehren, schrieb er mir und fragte an, ob ich bereit wäre, Cholmondely mitzunehmen und der Zoodirektion zu überbringen. Ich antwortete ihm, da ich bereits eine große Affenkollektion hätte, würde ein zusätzlicher Schimpanse keinen großen Unterschied bedeuten, und es wäre mir ein Vergnügen, Cholmondely nach England zu begleiten. Ich stellte mir einen jungen Schimpansen vor, vielleicht zwei Jahre alt und ungefähr sechzig Zentimeter groß. Als Cholmondely erschien, bekam ich einen tüchtigen Schrecken.
    Eines schönen Tages fuhr beim Lager ein Lieferwagen vor, der eine ungeheure Holzkiste enthielt. Meiner Schätzung nach war sie groß genug, einen Elefanten zu beherbergen. Ich wunderte mich, was wohl darin sein mochte, und als der Fahrer mir mitteilte, der Kratten enthielte Cholmondely, dachte ich noch, wie dumm es von dem Eigentümer sei, einen kleinen Schimpansen in einer so großen Kiste zu versenden.
    Ich machte die Tür auf und schaute hinein, und da saß Cholmondely. Ein Blick auf ihn, und ich erkannte, daß dies kein junger chimpanse war, sondern ein voll ausgewachsener von acht oder neun Jahren. Wie er da in dem dunklen Kratten hockte, wirkte er ungefähr doppelt so groß wie ich, und nach seinem Gesichtsausdruck zu schließen, war die Reise nicht nach seinem Geschmack gewesen. Doch bevor ich die Tür zuschlagen konnte, hatte Cholmondely schon einen langen, behaarten Arm ausgestreckt, meine Hand ergriffen und sie herzlich gedrückt. Dann drehte er sich um, hob eine lange Kette auf (das eine Ende war an einem Halsband befestigt), drapierte sie sorgfältig über seinen Arm und trat aus der Kiste.
    Ein Weilchen blieb er stehen, betrachtete erst mich und dann das Lager mit großem Interesse, worauf er die Hand ausstreckte und mich fragend ansah. Ich nahm seine Hand, und wir gingen zusammen ins Zelt.
    Cholmondely setzte sich sofort in einen der Stühle beim Klapptisch, ließ die Kette zu Boden fallen, lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. Eine Zeitlang schaute er sich mit ziemlich hochmütiger Miene im Zelt um, und nachdem er es anscheinend als annehmbar befunden hatte, blickte er mich wieder fragend an. Offensichtlich wünschte er, daß ihm nach seiner ermüdenden Reise etwas angeboten würde.
    Man hatte mir mitgeteilt, daß er ein gewohnheitsmäßiger Teetrinker war; deshalb trug ich dem Koch auf, eine Kanne Tee zu machen. Dann ging ich hinaus, um mir Cholmondelys Kiste näher anzusehen, und dort fand ich eine sehr große und arg verbeulte Blechtasse. Als ich damit ins Zelt zurückkehrte, zeigte Cholmondely riesige Freude und lobte mich sogar für meine Findigkeit, indem er fröhliche «Hu-hu»-Laute ausstieß.
    Während wir auf den Tee warteten, ließ ich mich Cholmondely gegenüber nieder und zündete mir eine Zigarette an. Zu meiner Verwunderung wurde er sehr aufgeregt und streckte die Hand über den Tisch aus. Voller Neugier, was er nun tun würde, reichte ich ihm das Zigarettenpäckchen. Er öffnete es, nahm eine Zigarette heraus und steckte sie sich zwischen die Lippen. Hierauf streckte er wieder die Hand aus, und ich gab ihm die Streichhölzer. Erstaunt sah ich zu, wie er ein Hölzchen herausnahm, es anrieb, sich die Zigarette anzündete und die Schachtel auf den Tisch warf. Behaglich lehnte er sich zurück und stieß wie ein Könner Rauchwolken aus. Niemand hatte mir gesagt, daß Cholmondely rauchte. Ich fragte mich etwas ängstlich, welch andere schlechte Gewohnheiten er noch haben mochte, von denen mir sein Herr nichts verraten hatte.
    In diesem Augenblick wurde der Tee gebracht, und Cholmondely begrüßte ihn mit lauten, ausdrucksvollen Freudenkundgebungen. Er schaute aufmerksam zu, während ich seine Tasse zur Hälfte mit Milch füllte und dann den Tee hinzufügte. Da man mir gesagt hatte, er sei ein Leckermaul, tat ich sechs Eßlöffel Zucker hinein, was er mit befriedigtem Grunzen quittierte.
    Er legte seine Zigarette auf den Tisch und ergriff die Tasse mit beiden Händen. Dann schob er die Unterlippe vor und tauchte sie sehr behutsam in den Tee, um sich zu vergewissern, daß das Getränk nicht zu heiß wäre. Da der Tee ziemlich warm war, blies er heftig darauf, bis er genügend abgekühlt war, erst dann trank er die Tasse in einem Zuge leer. Als der letzte Tropfen verschwunden war, äugte er in die Tasse und holte so

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