Ein orientalisches Maerchen
„Auf Nettigkeiten dieser Art kann ich verzichten, Gerard! Und wenn du mir damit auf dezente Art zu verstehen geben wolltest, wie blass meine Haut im Vergleich zu den rassigen Marokkanerinnen ist, dann …“
„Jetzt reicht es mir aber langsam“, schnaubte er und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, während er Kit mit seinen dunklen Augen fixierte. „Ich war nur ehrlich. Das war als Kompliment gemeint! Wieso lässt du es nicht zu?“, fragte er und runzelte plötzlich die Stirn, als er merkte, dass ihre Lippen verräterisch zu zittern begannen. Auch wenn sie alles tat, um sich bei ihren wahren Gefühlen nicht in die Karten schauen zu lassen – ihre Körpersprache verriet ihm mehr als tausend Worte. Allmählich fand er es sogar immer reizvoller, ihr nach und nach auf diese Weise näher zu kommen. Gleichzeitig verspürte er merkwürdigerweise immer seltener das Bedürfnis, sie mit Provokationen aus der Reserve zu locken. Im Gegenteil. Er konnte es sich selbst nicht erklären, warum, aber gerade in diesem Augenblick wollte er sie eigentlich nur noch beschützen. Lag es an ihrer Verletzlichkeit, oder faszinierte ihn ihre natürliche Scheu? Sie wirkte so zart. Er fühlte sich einfach verpflichtet, sie vor Bösem zu bewahren.
Mon Dieu, wenn er den Kerl in die Finger bekam, der sie so tief in ihrer Seele verletzt hatte!
Gerard ballte die Hände zu Fäusten und schüttelte den Kopf. Im Grunde verstand er sich selbst nicht mehr. Was war nur mit ihm los? Normalerweise ließ ihr Typ ihn doch völlig kalt. Allein die Art, wie sie sich kleidete – diese gedeckten Farben – die mochten ja vielleicht elegant sein, aber sie entsprachen nun ganz und gar nicht seinem Geschmack. Auch sonst bevorzugte er Frauen, deren feminine Kurven ihn nicht gleich an Magermilchjoghurt und Halbfettmargarine denken ließen. Und die sich ihrer Weiblichkeit bewusst waren, sie lebten und mit ihren Reizen spielten.
Dennoch: Es ließ sich nicht mehr leugnen, dass er sich von dieser empfindsamen Engländerin angezogen fühlte. Und das nicht erst seit heute, sondern vom ersten Augenblick an. Schon damals, als sie wie schlafend und so unschuldig auf dem Sofa in seinem Büro gelegen hatte, hatte er sich dabei ertappt, zu überlegen, wie es wohl wäre, sie wachzuküssen. Und allein der Gedanke hatte ihn bereits erregt …
Reiß dich zusammen, Mann! Sie vertraut auf deine Gast freundschaft! Das willst du doch wohl nicht ausnutzen?
Mit einem unterdrückten Fluch biss er nun die Zähne aufeinander. „Ich …“, begann er mit belegter Stimme und räusperte sich, um den Kampf gegen die Versuchung auch im Tonfall aufzunehmen. „Du solltest jetzt besser schlafen gehen.“ Dann machte er einfach auf dem Absatz kehrt, drehte sich aber auf dem Weg zur Tür noch einmal um. „Ich werde dafür sorgen, dass dich niemand stört. Bonne nuit!“
In ihrer ersten Verwirrung blickte Kit ihm nur stumm hinterher. Hatte sie ihr Eindruck, dass er ihr näher kommen wollte, doch getäuscht? Nun, jedenfalls hat die Willensstärke, mit der er sich von mir verabschiedet hat, mir zumindest kein neues Misstrauen eingeflößt, grübelte sie, während sie zum Bett hinüberblickte. Mit seinem Baldachin aus rotem und goldenem Organza verströmte es eine solch wohlige Geborgenheit …
Ein wenig zaghaft noch zog sie sich aus, streifte dann aber schnell das bereitgelegte Nachthemd über und schlüpfte unter das seidene Laken. Fast erleichtert ließ sie sich in die weichen Kissen sinken und schloss erschöpft die Augen. Immer noch war sie verwirrt und durcheinander. Aber dann dauerte es doch nicht lange, bis sie sanft ins Reich der Träume glitt.
Als Amina sie am nächsten Tag weckte, war es bereits Nachmittag. Und zu ihrer Überraschung fühlte Kit sich erholt und fast wie neu geboren.
„Madame? Madame, Sie waren wohl sehr müde?“, begrüßte die kleine Marokkanerin sie. Ihr Englisch wies einen stark arabischen Akzent auf, doch ihre Stimme war sanft und melodisch. Nachsichtig lächelnd trat sie ans Fenster und öffnete die Läden.
Offenbar lag das Zimmer auf der Südwestseite des Hauses, denn Kit blinzelte gleich direkt in die goldene Sonne, die ihr von einem wolkenlosen und strahlend blauen Himmel entgegenlachte. Für einen Moment schloss sie noch einmal die Augen. Lag einfach nur da und genoss die wärmenden Strahlen.
„Madame, Sie sind doch bestimmt hungrig?“, meldete sich Amina wieder und nickte, als wolle sie sich selbst die Frage beantworten.
„Ich …“,
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