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Ein orientalisches Maerchen

Ein orientalisches Maerchen

Titel: Ein orientalisches Maerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Brooks
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neuen Tag ins Gesicht zu sehen. Sie hatte für sich beschlossen, die Ereignisse des Vorabends einfach zu vergessen. Genauso aus ihrem Gedächtnis zu streichen wie die Erinnerungen an ihre Vergangenheit.
    Nachdem sie sich notdürftig zurechtgemacht hatte, ging sie hinunter ins Speisezimmer. Gerard frühstückte bereits, und der Tisch war einladend gedeckt mit frischen Früchten, knusprigem Fladenbrot und verschiedenen Konfitüren. Doch Kit verspürte wenig Appetit. Und wenn sie ehrlich war, hatte sie auch Schwierigkeiten, Gerard gegenüberzutreten. Seelenruhig saß er da am Tisch und las Zeitung. Er trug ein legeres Hemd und eine leichte Leinenhose – sah damit aber nicht weniger attraktiv aus als in seinem orientalischen Gewand.
    „Guten Morgen“, sagte sie leise. Und als er von seiner Zeitung aufblickte, fügte sie noch hinzu. „Du scheinst ja sehr früh aufgestanden zu sein.“
    „Scheint ja auch ein wunderschöner Tag zu werden“, merkte er an, während er sie von oben bis unten musterte. „Aber bevor wir aufbrechen, solltest du dich noch umziehen.“
    Aufbrechen? Wohin? Und überhaupt, was bildete er sich eigentlich ein, über ihre Kleidung zu bestimmen? Okay, es war nicht besonders abwechslungsreich, jetzt schon wieder dasselbe Outfit wie an dem Tag, als sie ihren Unfall gehabt hatte, zu tragen – aber Amina hatte die Sachen immerhin frisch gewaschen und gebügelt!
    „Wovon sprichst du?“, fragte sie etwas besorgt. „Gibt es irgendwelche Probleme?“
    „Ich weiß nicht, ob dir klar ist, dass du wohl nicht mehr lange in Marrakesch bleiben wirst. Dein Verlobter, dieser David … nun, er wird dich sicher so bald wie möglich abholen wollen.“ Gerard verzog keine Miene. „Und ich dachte, du hättest vielleicht Interesse daran, Land und Leute hier noch ein wenig besser kennenzulernen, ehe du wieder in dein altes Leben zurückkehrst. Da Colette leider verhindert ist, würde ich mich dir gern als Fremdenführer empfehlen.“
    „Meinetwegen …“, murmelte sie. Zu weiterer Gegenwehr fühlte sie sich gerade nicht in der Lage. Dafür hatte sie zu wenig geschlafen. Und die Kraft, der Verlockung zu widerstehen, einen ganzen Tag mit ihm zu verbringen, die brachte sie erst recht nicht auf. Im Gegenteil.
    „Fein, dann sollten wir keine Zeit verlieren“, sagte er und legte die gefaltete Zeitung beiseite. „Und nichts für ungut, aber …“, er musterte sie noch einmal von oben bis unten, „… ich an deiner Stelle würde ein anderes Outfit wählen. Der Islam in Marokko gibt sich zwar durchaus liberaler als in anderen arabischen Staaten. Nicht mehr alle Frauen tragen ein Kopftuch oder Schleier. Trotzdem sollten Frauen sich in der Öffentlichkeit nicht allzu freizügig und figurbetont kleiden. Und ich glaube, Colette hatte auch einen entsprechenden langen Rock und eine langärmlige Bluse für dich besorgt.“
    Kit nickte nur stumm. Dass sie in puncto Kleidung auf muslimische Sitten Rücksicht nehmen würde, war natürlich klar. Dafür lag ihr etwas anderes auf der Seele. „Wäre es in Ordnung, wenn ich nach dem Frühstück in England anrufe?“
    „Meinst du nicht, das hat noch Zeit bis zum Abend? Ich meine, dein Gespräch wird bestimmt länger dauern und …“, er räusperte sich angestrengt, „… ich würde gern so schnell wie möglich aufbrechen.“
    Kit erwiderte tapfer seinen Blick und rang sich wieder zu einem Nicken durch. Doch insgeheim fragte sie sich, was Gerard bezweckte. Irgendwie konnte sie sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er immer versuchte, sie von ihrem Telefonat mit David abzuhalten. Er hatte sie gewiss nicht in sein luxuriöses, abgeschiedenes Domizil eingeladen und sich bereit erklärt, einen ganzen Tag für sie den Fremdenführer zu spielen, nur um ein paar harmlose schöne Stunden mit ihr zu verbringen. Glaubte er etwa, er könne sie leichter verführen, je länger er sie bei sich behielt? Wann würde er sie wieder gehen lassen? Ursprünglich hatte sie doch nur so lange bei ihm wohnen wollen, bis die Behörden ihre Identität ermittelt hatten – und das war ja gelungen. Es gab also gar keinen Grund mehr, dass sie …
    Nein, wirklich. Das würde sie ihm jetzt klipp und klar sagen. Kit richtete sich kerzengerade auf. „Ich … habe es mir noch mal überlegt. Also, da ich jetzt meine Identität kenne, will ich deine Gastfreundschaft nicht länger ausnutzen …“
    „Unsinn“, fuhr er ihr so schnell dazwischen, dass ihr das Wort im Hals stecken blieb. „Man hat dir zwar ge

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