Ein Ort für die Ewigkeit
absichtlich vermieden hatte. Hawkin starrte ihn mit einem fast triumphierenden Blick an. Das Lächeln, das so oft seine Lippen umspielte, war wieder da, und er saß so bequem auf der Anklagebank, als sei er in seiner eigenen Küche. Mit Mordlust im Herzen schritt George an der Anklagebank vorbei und geradewegs aus dem Gerichtssaal. Hinter sich hörte er den Richter den Beschluß der Sitzung für den Tag verkünden. Er eilte weiter, den Korridor hinunter zur Toilette, stürzte hinein, schob den Riegel vor und beugte sich über die Schüssel. Er schaffte es gerade noch. Das im Rachen brennende Erbrochene platschte gegen das weiße Klosettbecken, und der dünne, saure Geruch ließ ihn von neuem würgen.
Er zog an der Kette und lehnte sich dann gegen die Wand, kalter Schweiß stand ihm im Gesicht. Einen schrecklichen Moment lang hatte er im Gerichtssaal mit Entsetzen geahnt, was Highsmiths Verdächtigungen und Vorwürfe ihm antun konnten. Es würde nicht mehr brauchen als zwei leichtgläubige Geschworene mit einem Groll gegen die Polizei, und Hawkin würde nicht nur freikommen, sondern auch Georges Karriere und guten Ruf ruinieren. Es war ein unerträglicher Gedanke, der zu den Dingen gehörte, die einem um drei Uhr morgens Alpträume und Magenschmerzen verursachen. Er hatte für diese Anklage den Kopf hingehalten. Jetzt ließ er zum ersten Mal zu, daß ihm bewußt wurde, wie leicht er selbst für seinen Untergang verantwortlich werden konnte. Kein Wunder, daß Carver so großzügig darauf bestanden hatte, George den Fall selbst zu Ende führen zu lassen. Man hatte ihm nicht den Giftkelch gereicht, sondern er selbst hatte ihn ihren Händen entrissen.
Aber was hätte er sonst tun können? Auch als er dastand und der Chlorgeruch ihm in der Kehle brannte und seine Augen tränen ließ, wußte George, daß es für ihn eigentlich keine andere Wahl gegeben hatte.
Als er herauskam, wartete Clough schon auf ihn, die übliche Zigarette im Mundwinkel. »Ich kenne eine gute Kneipe an der Ashbourne Road«, sagte er. »Trinken wir doch ein Glas auf dem Heimweg.«
Er war ein bemerkenswerter Polizist, dachte George.
Der Prozeß
3
D en Rest der Woche saß George hinten im Saal und fand immer die Möglichkeit, ein paar Minuten nach Beginn der Sitzung zu kommen und wieder hinauszuschlüpfen, bevor sie beendet war. Er wußte, daß das lächerlich war, aber er konnte sich von der Vorstellung nicht freimachen, daß alle sich fragten, ob er unehrlich sei, oder, noch schlimmer, bereits glaubten, daß er es war. Er haßte den Gedanken, als einer jener Polizisten zu gelten, die sich ungeachtet der Beweislage vornehmen, jemanden wegen eines Verbrechens zu überführen. Aber er konnte nicht fernbleiben.
Am dritten Verhandlungstag erschienen die Zeugen aus Scardale. Charlie Lomas gelang es, sein gelassenes Auftreten zu wiederholen und die Geschworenen mit seiner offenen Art und seinem offensichtlichen Kummer wegen des Verschwindens seiner Cousine zu beeindrucken.
Als nächste kam Ma Lomas, für diese Gelegenheit in einen verschossenen schwarzen Mantel gekleidet, auf dessen Kragen ein Zweiglein weißes Heidekraut festgesteckt war. Sie sagte, ihr Name sei Hester Euphemia Lomas. Es war offensichtlich, daß sie vor dem Gericht weder Ehrfurcht noch Respekt hatte; sie antwortete den beiden Anwälten der Krone genauso, wie sie mit George in ihrem eigenen Wohnzimmer gesprochen hatte. Sie bestand auf einem Stuhl und einem Glas Wasser, die sie dann aber nicht beachtete. Stanley behandelte sie mit übertriebener Höflichkeit, was sie mit der größten Gleichgültigkeit erwiderte.
»Und sind Sie absolut sicher, daß es Mr. Hawkin war, den Sie das Feld überqueren sahen?« fragte Stanley.
»Ich brauche nur zum Lesen eine Brille«, erwiderte die alte Frau. »Ich kann immer noch einen Turmfalken von einem Sperber in hundert Meter Entfernung unterscheiden.«
»Wie können Sie sicher sein, daß es Mittwoch war?«
Sie sah ihn ungeduldig an. »Weil es der Tag ist, an dem Alison verschwand. Wenn so etwas passiert, bleibt einem alles andere, was an dem Tag passiert, im Gedächtnis.«
Stanley fand offensichtlich, dagegen lasse sich nichts sagen. Er sprach mit ihr über ihre Kenntnis der Bleimine aus dem Buch im Arbeitszimmer von Scardale Manor. »Hat Squire Castleton oft mit Ihnen über die Geschichte der Gegend gesprochen?«
»O ja«, erwiderte sie leichthin. »Ich kannte ihn, seit er ein kleiner Junge war. Er hat seine Pächter nie herumkommandiert,
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