Ein Ort für die Ewigkeit
Moorschafe. Trotzdem beherrschten das Grün und Blau von Gras und Himmel die Landschaft.
Das rote Coupé rollte gemächlich über die schmale Landstraße und hob sich davon ab wie ein exotischer Papagei in einem englischen Waldstück. Als die Methodistenkirche auf der rechten Seite auftauchte, trat die blonde Frau hinter dem Steuer sachte auf die Bremse. Der Wagen fuhr langsamer, und sie schaltete bei einem Straßenschild herunter, an das sie sich nicht erinnerte. Es wies nach links auf eine schmale Abzweigung und trug die Aufschrift SCARDALE 1.
Endlich, dachte sie. Das unbekannte Straßenschild kam ihr gerade recht als eine Erinnerung daran, daß die Welt sich verändert hatte. Heutzutage mußte es auch Leuten, die den Weg nicht genau kannten, möglich sein, nach Scardale zu finden. Wenn sie soviel Erfolg hätte, wie sie sich erhoffte, würde es noch viele andere geben, die diesen Hinweis brauchen würden. Mit einem kleinen, aufgeregten Zittern nahm sie die Kurve. Obwohl sie sich noch an das Auf und Ab der sich windenden Straße erinnerte, fuhr sie sehr langsam. Durch die hohen Kalksteinmauern hatte die schwache Februarsonne nicht auf die einspurige Straße scheinen können, und sie war noch voller Rauhreif, außer dort, wo Spuren anderer Autos den schwarzen Teerbelag erkennen ließen. Es würde kein günstiger Start für ihr Projekt sein, wenn sie ins Schleudern käme und einen Blechschaden hätte, ermahnte sie sich selbst. Ein Schock war es für Catherine Heathcote nicht, daß die Trockenmauern plötzlich von aufragenden Klippen grauen Kalksteins ersetzt wurden. Aber es war allerdings eine Überraschung, daß kein Tor mehr an der Straße stand und das öffentliche vom privaten Gelände trennte. Die einzigen Anzeichen, daß Scardale sich früher absichtlich von der Welt abgeschottet hatte, waren jetzt die Steinpfosten des Tors und ein Viehgitter, über das ihre breiten Reifen sanft hinwegholperten.
Sie fand, daß nichts in der Gegend sich wesentlich verändert hatte. Shield Tor und Scardale Crag ragten noch über dem Tal auf. Schafe grasten immer noch friedlich vor sich hin, obwohl – ein Zugeständnis an den Zeitgeschmack – eine Herde modischer Jacobs-Schafe sich unter die vertrauteren, widerstandsfähigeren Moorschafe gemischt hatte. Die kleinen Wäldchen waren gewachsen, das stimmte, aber sie waren gut gepflegt, junge Bäume an die Stelle derjenigen getreten, die abgeholzt oder vom rauhen Wetter gefällt worden waren. Aber man hatte immer noch das Gefühl, die Welt hinter sich zu lassen und ein eigenes Reich zu betreten, dachte Catherine. Wenn sich auch mancher Anblick verändert hatte, konnte sie sich doch fast wieder in das Kind versetzen, das vom Rücksitz über die Schultern der Erwachsenen hinwegsah, wenn sie in diesen entfernten Winkel hinunterfuhren, um an einem Sonntag nachmittag die geheimnisvoll sickernde Quelle des Scarlaston zu finden.
Erst als sie am Rand der Dorfwiese anhielt, war eine wirkliche Veränderung zu sehen. In den Jahren nach Hawkins Hinrichtung hatte ein neuer Wohlstand in Scardale Einzug gehalten. Sie rief sich ins Gedächtnis, was sie erfahren hatte, als sie vor zwölf Jahren zum ersten Mal über die Ermordung Alison Carters in einem Artikel berichtet hatte, für den sie den Auftrag bekam, als wieder ein Fall »ohne Leiche« in den Schlagzeilen war. Catherines Recherchen in den Archiven der Lokalzeitungen und bei den Bridge-Freundinnen ihrer Mutter hatten zutage gebracht, daß Ruth Hawkin, nachdem sie das Tal und das Dorf von ihrem Mann geerbt hatte, beschloß, alle Erinnerungen hinter sich zu lassen. Sie hatte das Gutshaus verkauft und für die Verwaltung der Ländereien und Farmen eine Vermögensverwaltung eingesetzt. Den Pächtern wurde Gelegenheit gegeben, ihre Häuschen zu kaufen, und in der Zwischenzeit hatten manche sie an Käufer von außerhalb veräußert. Ruth Hawkin war nicht zu finden gewesen und hatte alle Versuche Catherines, über den Rechtsanwalt, der das Vermögen verwaltete, ein Interview zu bekommen, abgeblockt.
Unvermeidlich hatten die Vorgänge, die durch Ruths Maßnahmen in Gang kamen, zu einer Verschönerung des Dorfs geführt. Frische Farbe glänzte auf Fenstern und Türen, Gärten waren wie aus dem Nichts entstanden, und sogar im eisigen Griff des Winters sorgten frühe Krokusse, winzige Schwertlilien und Schneeglöckchen hier und da für Farbkleckse. Und natürlich hatten Autos auf der Dorfwiese Einzug gehalten, wo einst nur zerbeulte Landrover und
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