Ein Ort für die Ewigkeit
beschloß sie den Tag mit einem Nachttrunk im Dorfpub. Das hieß gewöhnlich, daß sie auch Peter Grundy einen ausgab, aber Catherine machten diese kleinen Unkosten nichts aus. Er hatte ihr schon wertvolles Hintergrundmaterial zu Scardale und den Familien dort geliefert, und außerdem war sie gern in seiner Gesellschaft.
Es war eine merkwürdig zufriedenstellende Art zu leben, fand sie. Die Arbeit war interessant und lockte sie in eine Welt zurück, die ihr zugleich vertraut und fremd war. Je mehr sie über den Hintergrund des Falls erfuhr, desto mehr wuchs ihr Respekt für George Bennett. Sie hatte keine Ahnung gehabt, wogegen er hatte ankämpfen müssen, um Philip Hawkin der Gerechtigkeit zuzuführen, sowohl innerhalb der Polizei als auch außerhalb. Sie hatte nie eine besonders hohe Meinung von der Polizei gehabt, aber durch George änderte sich dieses Vorurteil allmählich.
Sie hatte auch eine nervöse Angst davor gehabt, ihrem Heimatort wieder so nah zu kommen, fast abergläubisch war ihre Furcht, daß das beengende Kleinstadtleben, dem zu entrinnen sie so hart gekämpft hatte, sie irgendwie wieder einholen könnte. Statt dessen fand sie einen seltsamen Frieden in dem Rhythmus der Tage und Nächte. Nicht daß sie sich wünschte, immer so zu leben, ermahnte sie sich selbst energisch. Sie hatte schließlich ihr eigenes Leben. Dies hier war nur ein angenehmes Zwischenspiel, nicht mehr.
Was sonst konnte es auch sein?
5
April 1998
C atherine hatte vergessen, wie spät der Frühling hier draußen kam. Für jeden, der in der Gegend um die Derbyshire Peaks lebte, brachte der April die Erlösung nach den Härten des Winters. Blumenzwiebeln, die nur zwölf Meilen weit weg in der Ebene von Cheshire einen vollen Monat früher blühten, streckten endlich ihre Blätter aus dem Boden. Die Bäume trieben zögernd ihre Blütenknospen, und das von den Schafen abgefressene Gras erinnerte an die Farbe Grün.
In Scardale entfalteten sich im Waldstück und im Gehölz die ersten Blätter, als Catherine ins Dorf hinunterfuhr. Fast mit Bedauern hatte sie ihre erste Serie von Interviews mit George zu Ende gebracht, und heute begann eine zweite Phase ihres Projekts. Catherine hatte nie beabsichtigt, George Bennetts Erinnerungen als alleinige Grundlage des Buches zu nehmen. Sie hatte immer geplant, so viele Leute wie möglich zu befragen, die mit dem Fall zu tun hatten. Doch sie hatte nicht gedacht, daß so viele von ihnen zögern würden, ihre Erinnerungen an den Fall preiszugeben. Zu ihrer Überraschung hatten fast alle Carters, Crowthers und Lomas’ rundweg abgelehnt, an dem Projekt teilzunehmen.
Es war ihr jedoch gelungen, ein Interview mit Alisons Tante, Kathy Lomas, zu vereinbaren. Vielleicht würde es nicht so sehr ins Gewicht fallen, daß andere Mitglieder der Großfamilie sich geweigert hatten, weil Kathy laut George Ruth Carter nähergestanden hatte als sonst irgend jemand. Schon allein aus diesem Grund hätte Catherine mit ihr sprechen wollen. Aber es gab noch einen zweiten Grund für ihren heutigen Eifer.
Obwohl Helen den Weg bei ihrer Schwester Janis für Catherine geebnet hatte, war Catherine immer noch nicht im Gutshaus von Scardale gewesen. Sie hatte einen Brief von Janis Wainwrights Rechtsanwalt bekommen, der sie informierte, seine Klientin hätte im späten Winter und Frühjahr mehrere Reisen geplant, würde den Rest der Zeit zu Hause arbeiten und wollte lieber ungestört bleiben. Der Anwalt hatte vorgeschlagen, daß die Autorin das Gutshaus in einer der Perioden ansehen könne, wenn die Besitzerin nicht zu Hause wäre, da Miss Wainwright Catherine sowieso nichts über den Fall Alison Carter sagen könne und dies die beste Lösung sei, Catherines Wünschen entgegenzukommen, ohne Janis’ Arbeit zu stören.
Catherine stimmte dem Vorschlag des Anwalts gern zu, wenn dies denn die einzige Möglichkeit war, das Innere des Gutshauses zu besuchen. Heute endlich würde sie Philip Hawkins Erbe von innen sehen. Und noch besser, sie würde in Kathy Lomas eine Führerin haben, die ihr sagen konnte, welches Alisons Zimmer und welches Hawkins Arbeitszimmer gewesen war, und die das ehemalige Mobiliar beschreiben konnte.
Sie konnte nicht umhin, Spekulationen anzustellen, wie die Frau wohl sein würde, die sie bald treffen sollte. George Bennett hatte das Porträt einer boshaften, penetranten Frau gezeichnet, die keinen Respekt vor der Polizei hatte, ständig nörgelte und ihm zusetzte, wann immer sie Grund dazu zu haben
Weitere Kostenlose Bücher