Ein Ort wie dieser
Baoulés, ob nun aus dem Sudan oder aus Ruanda, einen schlechten Eindruck auf die Eltern machten.
»Am Ende geben die anderen ihre Kinder noch auf die Saint-Charles, und wir müssen dann eine Klasse schließen.«
»Oder die Schule«, bemerkte Marie-Claude.
Dann ging sie rasch ans Fenster, eine rauchen.
»Die Baoulés? Sie sind Ivorer, sie kommen aus der Elfenbeinküste«, antwortete Monsieur Montoriol, ohne zu zögern.
Cécile hatte ihre Schüchternheit überwunden und ihn gefragt.
»Sind es politische Flüchtlinge?«
»Irgend so was«, antwortete Georges. »Eine komplizierte Geschichte. Die Baoulés waren ziemlich wichtige Leute in der Elfenbeinküste. Monsieur Baoulé besaß im Norden des Landes eine Fabrik, ich weiß nicht mehr, wofür, jedenfalls in der Nähe von Bouaké, und sein Onkel war sogar Minister für Energiefragen. Und dann …«
Monsieur Montoriol runzelte die Stirn, während er sich an die dramatischen Verwicklungen zu erinnern versuchte, die am Ende zur Katastrophe geführt hatten.
»Der älteste Sohn der Baoulés, der Zwillingsbruder von Alphonse, er hieß … er hieß … Ach, ich komme nicht drauf. Übrigens, nebenbei gesagt: Ich liebe die Namen dieser Kinder! Kurz, der Zwillingsbruder von Alphonse wurde krank, und seine Eltern begriffen, dass er nicht richtig behandelt werden würde, nicht mal in Yamoussoukro. Monsieur Baoulé nahm Kontakt zu einer Vereinigung in Frankreich auf, die die Betreuung des Kleinen und der Mutter übernommen hat. Er wurde im Robert-Debré-Krankenhaus behandelt, wo sie sofort Knochenkrebs diagnostiziert haben. Und dann musste … Hyacinthe! Jetzt ist es mir wieder eingefallen! Dann musste Hyacinthe ein Bein amputiert werden.«
Cécile hörte ihrem Direktor zu und war vor Angst ganz angespannt, war sie doch schon jetzt sicher, das alles immer nur schlimmer würde.
»Während Madame Baoulé in Frankreich war, verschlechterte sich die Situation in ihrem Heimatland. Ich muss Ihnen gestehen, ich habe nicht so recht verstanden, was da unten eigentlich vorgeht. Sicher ist auf jeden Fall, dass der Onkel von Monsieur Baoulé, der Minister, aus der Regierung gejagt und sogar festgenommen wurde. Ihm gelang die Flucht, da er noch ein paar Helfershelfer vor Ort hatte, und er versteckte sich bei seiner Familie in Bouaké. Das hat dann alle ins Unglück gestürzt, weil nicht nur der Onkel gefunden und hingerichtet wurde, sondern die neue Regierung auch brutal über die Baoulés hergefallen ist und ihre berühmte Fabrik konfisziert hat. Monsieur Baoulé hatte einen Bruder, der bei einem Aufstand ermordet wurde. Seine Schwägerin, die Witwe, war schwanger, sie konnte mit ihren drei Kindern fliehen und kam zur Geburt nach Frankreich. Hier stellte sie Antrag auf politisches Asyl. Madame Baoulé konnte nach dem Tod des kleinen Hyacinthe nicht in ihr Heimatland zurückkehren. Es war wie eine Falle, die über ihr zuschnappte und sie von ihren Kindern trennte.«
Monsieur Montoriol leierte diese schrecklichen Ereignisse herunter und schien recht zufrieden über Céciles entsetztes Gesicht. Das Ende erzählte er rascher: »Um abzuschließen: Monsieur Baoulé ist dann mit den Kindern zu seiner Frau gekommen. Aber stellen Sie sich den Aufwand vor, um alle herzuschaffen! Manche haben die Reise mit französischen Lehrern unternommen, die aus der Elfenbeinküste geflohen sind, andere mit einem libanesischen Geschäftsmann, wieder andere mit Ordensschwestern … Eine wahre Odyssee. Mich hat man gebeten, die Kinder im laufenden Schuljahr in die Schule aufzunehmen. Die drei Zwillingspaare plus Alphonse, Leon, Clotilde und Donatienne!«
Bei dieser Erinnerung lächelte er.
»Ein echter Glücksfall. Die Louis-Guilloux-Schule wurde von den Baoulés gerettet!«
»Wieso das?«, fragte Cécile erstaunt.
»Unsere Schülerzahl nahm ab. Zwei Jahre lang hat man uns immer wieder gedroht, dass Klassen geschlossen werden. Und ich sah schon den Moment kommen, wo man davon reden würde, die ganze Schule zu schließen. Ich glaube, die Stadtverwaltung hätte großes Interesse, unsere Räumlichkeiten mitten in der Innenstadt zur Verfügung zu haben. Und da tauchten die Baoulés auf! Zehn auf einen Schlag im letzten Jahr, zwei weitere in diesem Jahr! Und der Nachschub ist sicher!«
Er begann unbeschwert zu lachen. Der Herr Direktor schien nicht einmal zu ahnen, dass der Ruf der Louis-Guilloux-Schule Schaden genommen hatte. Um die Schülerzahlen zu halten, war ein Baoulé so viel wert wie eine de
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