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Ein Ort zum sterben

Ein Ort zum sterben

Titel: Ein Ort zum sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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oder?«
    »Seine Schuld bestand darin, daß er sich Tammy Sue Pertwee gegenüber wie ein Ehrenmann benommen hatte. Dieser Fünfzehnjährige ist mit ihr über die Staatsgrenze gegangen, um sie heiraten zu können, und hat dann ein halbes Jahr in schlecht bezahlten Jobs geschuftet, um sie und das Kind durchzubringen, das sie erwartete.«
    »Ein Kind?«
    »Tammy Sue ist bei der Geburt gestorben. Niemand hätte sie retten können. Aber das kam erst viel später heraus, als der Junge schon tot war. Der Ermittlungsrichter hat sich verdammt viel Zeit damit gelassen. Sie fanden das Kind bei der Mutter in einem primitiv zusammengezimmerten Sarg. Ich habe die Fotos gesehen, ehe sie vernichtet wurden. Es war herzzerreißend: Ein totes Kind mit seinem toten Kind im Arm.«
    »In der Presse war nie von einem Kind die Rede.«
    »Die Familie hat es vertuscht. Die Fotos seien abhanden gekommen, hieß es. Sie hätten mit dem Heimkommen warten wollen, bis das Kind ein bißchen größer war – damit es nicht so auffällt, hat mir der Junge gesagt. Tammy Sues Vater hatte sie ein paarmal verprügelt, das wollte er ihr nicht mehr zumuten. Seine Familie hatte ihn völlig abgeschrieben, nicht mal die Leiche haben sie abgeholt. In der Stadt gab es einen Riesenrummel, mitternächtliche Fackelzüge und Transparente mit Slogans wie ›Tod dem Monster!‹ und Gerechtigkeit für Tammy Sue!‹ Vor dem Gefängnis verkauften fliegende Händler Bier und heiße Würstchen. Der Junge hat das alles durchs Zellenfenster mitgekriegt.
    Abends weinte er sich in den Schlaf, er war schließlich noch ein Kind. Zwölf Nächte ging das so, und als an einem schönen Sommermorgen der Sheriff hereinkam, baumelte er an der Lampe. Er hatte sich mit seinem Bettzeug erhängt. Nun waren es drei tote Kinder.«
    »Kannte Edith Candle die Einzelheiten?«
    »Ich hatte ihren Mann Max, den Magier, informiert, weiß allerdings nicht, ob er seiner Frau alles erzählt hat. Ich hatte ihn darum gebeten, weil ich dachte, eine Presseerklärung von ihr könnte dem Jungen helfen. Aber die wäre ohnehin zu spät gekommen, am nächsten Tag hat er sich dann umgebracht. Max Candle hat mir Geld für die Beerdigung geschickt. Ich habe dem armen Jungen den größten Grabstein in ganz Claire County gekauft und ihn oben am Hang beisetzen lassen, da hatte die Stadt mal wieder was zu reden.«
     
    Ehe Mallory aus dem Haus ging, steckte sie, wie seit fünfzehn Jahren schon fast automatisch, einen Quarter in die Uhrtasche ihrer Jeans. Der Unterschied zu früher war nur, daß der Vierteldollar nicht mehr von Helen kam. »Damit du zu Hause Bescheid sagen kannst, wenn was ist«, hatte Helen morgens immer gesagt, wenn sie die kleine Kathy in die Schule und später die große Kathy ins College und in die Polizeiakademie verabschiedete, und ihr Frühstücksbox und Telefongeld in die Hand gedrückt. »Dann kommen wir und holen dich ab. Anruf genügt.«
    Mallory hatte es nie gestört, daß sie als einzige unter den weltgewandten jungen Frauen in Barnard eine Frühstücksbox mit Mickeymausbild hatte. Sie hatte in diesem Kreis keine Freundschaften geschlossen und sich auch nicht darum bemüht.
    Seit ihrem zwölften Lebensjahr waren ihre Freunde und Spielgefährten die Polizeicomputer, vor denen sie dreimal in der Woche, wenn Helen Ausschußsitzungen und Ehrenämter wahrnahm und sie nicht von der Schule abholen konnte, ihre Nachmittage verbrachte. Auch noch in den Collegejahren hatte sie ihre freie Zeit fast nur mit Computern verbracht und war Markowitz immer nützlicher geworden. An dem denkwürdigen Tag, als sie mit ihren Hackertricks die Bestellabteilung geknackt hatte, war sie noch ein Kind gewesen, und wenig später wurden die Rechner bei der New Yorker Polizei modernisiert. Danach kamen immer wieder Päckchen und Pakete mit Computerzubehör ins Haus, aus denen sich die kleine und später die große Kathy hochmoderne Systeme zusammenbaute, und Markowitz sah nun vorsichtshalber meist weg, wenn er an ihrem Monitor vorbeikam.
    Mallory tastete nach dem Quarter in der Jeanstasche. Sie war ein umsorgtes, behütetes Kind gewesen und hatte ihn nie gebraucht. Jetzt gab es niemanden mehr, den sie hätte anrufen können. So weit reichten Telefonverbindungen noch nicht. Trotzdem hatte sie den Vierteldollar immer in der Tasche, wenn auch mehr aus Anhänglichkeit.
    Als sie zur Tür ging, sah sie das Lämpchen des Anrufbeantworters blinken. Eine Nachricht von Riker: Redwing war in der vergangenen Nacht erneut

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