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Ein Ort zum sterben

Ein Ort zum sterben

Titel: Ein Ort zum sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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umgezogen. Die neue Adresse aber hatte er Mallory nicht genannt.

 

     
    Edith Candles blaue Augen hinter den dicken Brillengläsern hatten einen großen, erstaunten Kinderblick. »Sie halten sich am besten da raus, Kathy.«
    »Woher haben Sie Redwings Adresse?«
    Edith nahm die Brille ab und griff, um Zeit zu gewinnen, zu dem beliebten Mittel des Brillenputzens. Ohne die Gläser sahen die Augen wieder normal groß und ziemlich unbeachtlich aus.
    Illusion ist alles, dachte Mallory.
    »Von ihr selbst.« Edith setzte sich die Brille mit dem erstaunlichen Vergrößerungseffekt wieder auf die Nase. »Sie hat heute Vormittag angerufen, und wir haben ziemlich lange miteinander gesprochen.«
    »Hat sie ausdrücklich um Ihren Besuch gebeten?«
    »Ja.«
    »Hat sie gesagt, Sie sollten mit niemandem darüber sprechen?«
    »Sie hat mich gebeten, das Gespräch vertraulich zu behandeln. An die genaue Formulierung erinnere ich mich nicht.«
    »Geben Sie mir die Adresse.«
    »Wollen Sie mitkommen? Ich glaube nicht, daß ihr das recht wäre, Kind. Sie wollte mich allein sprechen.«
    »Sie gehen auf gar keinen Fall aus dem Haus. Geben Sie mir die Adresse.«
    »Nein, liebes Kind, das möchte ich nicht.«
    Mallory lehnte sich zurück, fixierte einen Punkt hinter Ediths Schlohkopf und überlegte, ob sie es wohl riskieren konnte, der alten Dame ein bißchen einzuheizen. Ganz vorsichtig natürlich … Edith war viel schmächtiger als sie und würde vermutlich schnell klein beigeben. Und was würde sie von Charles zu hören bekommen, wenn sie mit solchen Methoden arbeitete?
    Eins zu null für Charles. Ausnahmsweise.
    »Was wissen Sie über Redwing, Edith?«
    »Ich kenne ihre gewalttätige Seite. Es ist zu riskant, Kathy.«
    Die Rollodexkartei mit dem griffbereiten Kugelschreiber daneben war in diesem Raum voller Spitzendeckchen und alter Bilder ein Fremdkörper und deshalb unübersehbar.
    »Vielleicht haben Sie dann wenigstens einen Kaffee für mich, Edith?«
    »Aber natürlich, Kind.«
    Edith war kaum in der Küche, als Mallory die neue Karteikarte unter R schon gefunden und an sich genommen hatte.
    Als die Tassen leer waren, griff Mallory nach ihren Schlüsseln. »Versprechen Sie mir, daß Sie nicht hingehen?«
    »Ja, gewiß, wenn Ihnen so viel daran liegt. Aber eins muß ich Ihnen noch zeigen.« Sie führte Mallory in die große Küche und deutete auf die nur noch schwach erkennbare Schrift an der Wand.
    »Genau wie bei Max«, erklärte sie und drehte sich um. Doch ihre Gabe befähigte sie offenbar nicht dazu, Mallorys Gesichtsausdruck zu deuten.
    »Soso«, sagte Kathleen Mallory nur. Kein Wort weiter.
     
    Redwing verdrehte die Augen, als der Dobermannwelpe in die Küche geschlichen kam. Er hatte noch nicht viel Erfahrung mit diesem Spiel, aber Schmerz ist ein guter Lehrmeister. Außerdem war er halb von Sinnen vor Hunger und Durst.
    Ein Teller mit rohem Fleisch stand auf dem Boden zwischen ihren Füßen. Vorsichtig schob er sich näher heran, immer die Frau im Blick, die ihm Strafe und Beglückung zumaß, die abwechselnd Zigaretten auf seinem Fell ausdrückte und ihn sinnlich gurrend streichelte und liebkoste. Er schnupperte an dem roten Fleisch, das den inzwischen vertrauten eigenartigen Geruch verströmte. Der Hunger siegte über den Instinkt, es nicht anzurühren. Er kostete ein Stück, dann fing er an zu schlingen. Und dann kam der Durst, das Zimmer begann sich zu drehen, nein, er war es, der sich mit hängender Zunge langsam im Kreis drehte. Durst, rasender Durst. Der dunkle Kopf senkte sich, die Zunge fuhr über die schmutzigen Fliesen, die Augen schlossen sich halb, bis nur noch das Weiße zu sehen war. Das leise Knurren steigerte sich zu durchdringendem Geheul.
     
    Es war ein heller, klarer Tag und in der Sonne noch angenehm warm. Die Hunde des West Village hatten sich in der eingezäunten Ecke des Washington Square, in der sie ohne Leine laufen durften, zum täglichen Treff versammelt, rannten Frisbeescheiben hinterher und wälzten sich glücklich sabbernd im Schmutz.
    Von einer Sekunde zur anderen aber war es aus mit der Glückseligkeit. Witternd hoben sie die Schnauzen, um auszumachen, woher die Gefahr kam. Erst nach ihnen merkten die Menschen, daß die Stimmung umgeschlagen war. Wie auf Kommando drängten sich die Hunde in einer Ecke zusammen und rückten von dem Labrador ab, der unter halb geschlossenen Lidern die Augen verdreht hatte. Der dunkle Kopf war gesenkt, die Zunge hing heraus. Ein leises, anhaltendes Knurren

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