Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Ort zum sterben

Ein Ort zum sterben

Titel: Ein Ort zum sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
Vom Netzwerk:
kam aus seiner Kehle.
    Jetzt hatte er die blonde Frau gesichtet, die mit langen Schritten durch den kleinen Park im West Village in Richtung East Side ging. Das goldene Haar sprühte Funken im Sonnenlicht. Der Hund sah ihr mit seinen irren Augen nach und fletschte drohend die Zähne. Taumelnd näherte er sich der Grenze des eingezäunten Geländes. Seine Besitzerin, eine schlanke junge Frau, kam mit Halsband und Leine langsam und vorsichtig auf ihn zu und rief ihn. Er legte den Kopf über den niedrigen Zaun, reagierte aber nicht. Als die Frau, die er lieb gehabt hatte wie sie ihn, nah genug war, hob er den Kopf und schnappte zu. Zum ersten und einzigen Mal in sieben Jahren. In stummer Bestürzung sah sie auf die Bißspuren hinunter, aus denen das Blut quoll.
    Der Labrador trat ein paar Schritte zurück, nahm Anlauf, setzte über den Zaun und lief der Frau mit dem Funken sprühenden Haar hinterher. Jetzt hatte seine Besitzerin die Stimme wiedergefunden, sie schrie, und die Frau mit der goldenen Mähne drehte sich um und sah den knurrenden, hechelnden Hund auf sich zukommen. In diesem Moment lief ein kleiner Junge quer über den Weg, dessen rotes T-Shirt ihn ablenkte. Er stürzte sich auf das Kind und verbiß sich in dem sommersprossigen Ärmchen. Der kleine Zweibeiner schrie und heulte mit angstvoll geweiteten Augen. Der Hund biß zu, bis er den Knochen brechen hörte, und schüttelte das Kind wie einen Hasen.
    Jetzt kam die Frau mit dem Goldhaar rufend und schrill pfeifend auf ihn zu, aber er war noch mit dem Fleisch beschäftigt, das er zwischen den Zähnen hatte. Erst als die Frau mit dem Goldhaar zu trat, seinen Kopf und seine Rippen traf, ließ er den Kinderarm los und zeigte ihr die Zähne. Sie wich zurück, und er setzte zum Sprung an. Es war der Sprung seines Lebens. Rasch und kraftvoll, den Blick auf ihren weißen Hals gerichtet, schnellte er auf sie zu. Und dann zerbarst die Welt in einer gewaltigen Explosion.
    Das metallene Ding in ihrer Hand rauchte, und sein Herz brach. Sie beugte sich über ihn und stieß mit dem Revolverlauf gegen seinen Körper, und das letzte, was er im Leben sah, war ihr Gesicht, das unbewegt war und ohne Mordleidenschaft. Ein Wesen wie die Goldhaarige war ihm noch nie begegnet. Dann ging sie weiter, und der Hund blickte zur Sonne hoch, bis sie sich verdunkelte.
    Eine Frau hatte den übel zugerichteten Vierjährigen in die Arme genommen. Mallory legte ihn ins Gras, hob den blutenden, zerbissenen Arm und hielt die Finger auf die sprudelnde Schlagader. Ihr Blick suchte in der Menge nach einem bekannten Gesicht. Riker drängte sich durch und kniete sich neben Mallory. Sie hatte es gewußt. Weit konnte er nicht sein.
    »Gib mir deinen Gürtel«, verlangte sie.
    Gehorsam nahm er ihn ab. »Rufen Sie einen Krankenwagen«, sagte sie zu einem der Umstehenden. »Sie können drüben in der Uni telefonieren.« Dann wandte sie sich an eine Frau, die neben ihr stand. »In dem Backsteinhaus gegenüber wohnt ein Arzt. Sagen Sie ihm, daß die Polizei Sie schickt, wenn er nicht gleich mitkommen will. Halt die Hand auf die Schlagader, Riker. Fest zudrücken, bis der Krankenwagen da ist.«
    Sie schiente den gebrochenen Arm mit dem Gürtel und einem Skateboard und ließ sich die Jacken von Riker und zwei Passanten geben, um den Jungen zuzudecken. Er war im Schock, man sah es an den geweiteten Augen. Noch hatte er keine Schmerzen, sondern rief nur schluchzend nach seiner Mutter.
    Mallory stand auf, winkte Riker noch einmal zu und ging schnell durch den Park davon, während Riker notgedrungen dableiben mußte, um Erste Hilfe zu leisten und später das Schriftliche zu erledigen. Sie lächelte leicht. Rikers Hartnäckigkeit war unter den Kollegen legendär. Noch nie war es einem Verdächtigen gelungen, ihn abzuschütteln. Er würde sich schwer damit tun, diese Schmach zu verkraften.
     
    »Hallo, Charles. Hier Riker. Ist Mallory da? … Haben Sie eine Ahnung, wo sie sein könnte? … Woher wissen Sie … Ja, ich war den ganzen Tag dicht an ihr dran, aber dann ist sie mir doch durch die Lappen gegangen, diese Rotzgöre, und ich muß sie so schnell wie möglich wiederfinden. Wenn sie mich absichtlich abgehängt hat, und es sieht ganz danach aus, ist sie hinter einer bestimmten Sache her … Ja, ich mach mir auch Sorgen.«
    Riker hatte einen Münzapparat vor dem Supermarkt benutzt. Jetzt legte er den Hörer auf und wandte sich auf der Bleecker Street nach Osten. Es war noch nicht ganz dunkel, aber auf den

Weitere Kostenlose Bücher