Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Ort zum sterben

Ein Ort zum sterben

Titel: Ein Ort zum sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
Vom Netzwerk:
Ihnen werde ich helfen.«
    Der Junge stellte sich hinter den Stuhl der breit lächelnden Redwing, verdrehte die Augen und ballte die Fäuste.
    »Trinken Sie aus, und dann tun wir einen Blick in die Teeblätter. In Ihr Leben.«
     
    »Erzählen Sie bloß keinem, daß ich einen Hausbesuch gemacht habe«, sagte Henrietta lächelnd und schnitt den letzten Faden ab. »Zum Glück denkt kaum einer noch daran, daß Psychiater auch gelernte Ärzte sind. Wenn Sie mich bei den Mietern verpetzen, darf ich mir von morgens bis abends nur noch ihre Wehwehchen anhören.«
    »Ich werde schweigen wie ein Grab«, versprach Charles.
    Entweder verstand sie sich besonders gut auf den Umgang mit Nadel und Faden, oder aber er spürte den Schmerz nicht mehr. Das hatte man manchmal nach einem Schock.
    »So handfest habe ich lange nicht mehr am Menschen herumgedoktert.« Sie legte Mull über die genähte Wunde und klebte ihn mit Leukoplaststreifen fest.
    »Danke. Und was halten Sie jetzt von unserer Haushellseherin?«
    »Bei ihr wundert mich gar nichts mehr. In diesem Haus sind schon mehr solcher Sachen passiert.«
    »Meinen Sie den Mord an Alison Warwick?«
    Henrietta nickte. »Ich kannte George Farmer nicht näher, damals war ich gerade erst eingezogen. Aber man konnte das Fortschreiten der Paranoia genau verfolgen, nach sechs Wochen war er wie ausgewechselt. Inzwischen hatte mir Edith von ihren Absencen, von dem automatischen Schreiben erzählt –«
    »– und daß eines Tages George in ihre Wohnung gekommen war und die Zeichen an der Wand gesehen hatte.«
    »Ja, genau. Ediths Tür stand immer offen, die Mieter kamen einfach herein, ohne anzuklopfen. Die Schrift an der Wand handelte von Alison. An den Vorgang des Schreibens habe sie keine Erinnerung mehr, behauptete Edith. Ich möchte annehmen, daß in diesen sechs Wochen so einiges an die Wand geschrieben wurde, und das hat ihn langsam, aber sicher mürbe gemacht.«
    »Es müssen abscheuliche Dinge gewesen sein.«
    »Nicht unbedingt. Vom Verliebtsein zum Wahn ist es nur ein kleiner Schritt. Es brauchte gar nichts Dramatisches zu sein. Edith hatte Zeit genug für ihr Zerstörungswerk.«
    »Das ist inzwischen viele Jahre her. Hat sie später noch mehr Schaden angerichtet?«
    »Ja, ich habe da einiges beobachtet, kleinere Sachen … Sie hat die Mieter gegeneinander aufgehetzt, und ich habe das Gefühl, daß sie auch bei Herberts Scheidung ihre Hand im Spiel hatte. Weil Edith zu Ihrer Familie gehört, habe ich es Ihnen nie erzählt. Das war natürlich falsch. Was können Sie mir noch über die Verdächtigen sagen? Haben Sie das Gefühl, daß eine bestimmte Person Mallory gefährlicher werden könnte als die anderen?«
    »Da kann ich nur raten«, sagte Charles. »Es sei denn, daß man die Frauen ganz beiseite läßt. Angeblich ist diese Art von Verbrechen nicht Frauensache.«
    »Das würde ich nicht sagen. Wen von den Verdächtigen kennt Edith näher?«
    »Sie ist einmal mit Gaynor zusammengetroffen und einmal mit einem weiblichen Medium, das sich Redwing nennt, aber die anderen kennt sie wohl nicht.«
    »Dann würde ich mich auf das Medium konzentrieren, denn da bewegt sich Edith auf vertrautem Gebiet. Und Gaynor ist vermutlich von beiden die stabilere Persönlichkeit. Haben Sie die Adresse?«
    »Unter Redwing steht sie nicht im Telefonbuch, vielleicht kann Sergeant Riker sie mir beschaffen.«
    »Gut. Aber versuchen Sie bloß nicht, im Alleingang den Helden zu spielen. Schicken Sie dieser Redwing die Polizei auf den Hals. In Mallorys Interesse. Mit einer Kanone argumentiert es sich allemal leichter.«
    »Einverstanden. Und wenn ich Gespenster gesehen und ihr völlig überflüssigerweise dazwischengefunkt habe, kann sie meinetwegen Kleinholz aus mir machen.«
    Er wählte die Nummer des Reviers. Nach dem vierzehnten Klingelton – Anrufer, die nicht ernstlich ausgeraubt, zusammengeschlagen oder vergewaltigt worden waren, hatten bis dahin vermutlich aufgegeben – kam er endlich durch.
    »Sergeant Riker bitte.«
    »Unsere Leitungen sind zur Zeit belegt«, leierte ein Tonband. »Bitte warten Sie …«
    Es war ein langer Tag gewesen. Jetzt konnte und wollte er nicht mehr warten.
     
    Die Tasse war halb leer, als Redwing die Augen schloß und in wiegende Bewegung verfiel. Mallory wiegte sich mit. Der Tee schwappte über. Sie trank noch einen Schluck und hörte schwere Atemzüge. Deutlich sichtbar atmeten die Wände ein und aus. Auch das Herz des Hauses hörte sie, es schlug mit der Wanduhr im

Weitere Kostenlose Bücher