Ein Ort zum sterben
nicht das zweite Gesicht.« Er deutete auf den Revolver und die Lampe. »Du erwartest Besuch. Einen Besuch, den du selbst eingeladen hast. Telefonisch oder per Brief?«
»Glaubst du wirklich, ich würde mich selbst als Köder hergeben? So weit ist es mit meinem Mut wahrhaftig nicht her.«
»Es handelt sich wohl mehr um einen Hinterhalt. Übrigens muß ich dich enttäuschen: Mallory lebt.«
»Charles, wie kannst du –«
»Du kennst den Mörder, und es konnte dir nichts daran liegen, daß Mallory ihn faßt. Das wolltest du selbst besorgen. Ein raffinierter Coup: Du entziehst dich der Strafverfolgung und feierst gleichzeitig ein triumphales Comeback.«
»Wenn deine Mutter hören könnte, wie du daherredest …«
»Meine Mutter hatte dich durchschaut«, sagte Charles. »Inzwischen hast du allerdings dein Sortiment noch erweitert. Ich wäre dir vielleicht schon früher auf die Schliche gekommen, nur paßte es so gar nicht zu dir, daß du dir von Klienten in die Karten sehen läßt. Inzwischen hast du vierzig Klientinnen, und alle kennen dein Blatt. So langsam wird die Sache heiß, nicht? Was hat dich an dem Unternehmen gereizt? Der Nervenkitzel? Die Vorstellung, daß es jeden Augenblick auffliegen könnte? Ein junger Schachspieler hat versucht, mir dieses Gefühl zu erklären. Den Superkick hat er es genannt. Täusche ich mich, oder bekommst du es jetzt doch mit der Angst zu tun, Edith? Ich glaube, dem Mörder geht es genauso.«
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Dann lies meine Gedanken – sofern diese Aussicht dir keine Angst macht. Die Whitman-Fusion war nicht dein erster und nicht dein letzter Coup, dazu ist dein Aktienpaket zu umfangreich.« Er holte eine Handvoll Ausdrucke aus der Tasche. »Mallory wußte Bescheid, aber ich wollte nicht auf sie hören. Sie hat sich deine Vermögenskurve angesehen und Einzelheiten aus bekannten Insidergeschäften damit verglichen. Deine vierzig netten alten Damen haben dich bestens versorgt. Sie haben dir von neuen Produkten erzählt, von denen Wertsteigerungen des Aktienkapitals zu erwarten waren, von bevorstehenden Fusionen, Verkäufen und Übernahmen. Sie ließen sich – wie Pearl Whitman – von dir sogar beraten, wenn es um den genauen Zeitpunkt einer Transaktion ging. Und dann wurden sie plötzlich umgebracht, deine netten alten Damen. Eine nach der anderen. Die Polizei interessierte sich für Gemeinsamkeiten bei den Opfern. Die Sache drohte aufzufliegen.«
»Hör auf, Charles, sonst –«
»Auch bei dir und dem Täter gibt es so manche Gemeinsamkeit. Beide habt ihr zunächst aus Habgier getötet – und dann Gefallen daran gefunden. Verwandte Seelen, in der gleichen Branche tätig …«
»Das ist doch lächerlich. Du kannst mich nicht dafür verantwortlich machen, daß –«
»Überall ist deine Handschrift zu erkennen, Edith. Du hast Redwing instruiert, hast Mallory geködert und in den Tod geschickt. Das ist ja deine Spezialität. Zuerst sagst du einen Todesfall voraus, dann sorgst du dafür, daß er auch eintritt. Hätte sie dich entlarvt, hättest du dein Vermögen und deine Freiheit verloren. Sie zu töten war Herausforderung und Notwendigkeit zugleich. Aber jetzt ist Schluß mit deinen Inszenierungen. Ich werde den Killer empfangen. Du kannst inzwischen drüben bei Henrietta warten.«
»Ich bin sehr wohl selbst in der Lage –«
»Geh!«
Mallory ließ die Datei vom Bildschirm verschwinden und rückte mit dem Stuhl vom Monitor ab. Damit war das letzte Kreditinstitut auf ihrer Liste abgehakt. Wie pflegte Edith doch zu sagen? Erstaunlich, was man sich alles leisten kann, wenn man alt ist …
Auf Zehenspitzen schlich sie an der offenen Küchentür vorbei. Riker studierte immer noch den Sportteil. Sie ging durchs Schlafzimmer in das anschließende Badezimmer und drehte die Dusche auf. Während das Wasser auf die Fliesen prasselte, holte sie den Colt aus der Schublade, den Markowitz von seinem Vater geerbt hatte. Den Smith & Wesson hatte Riker ihr in weiser Voraussicht abgenommen, aber der Colt tat es auch. Die Löcher, die er riß, waren nicht ganz so groß, aber die Kugeln flogen ebenso weit und fast ebenso schnell. Wasserdampf trübte den Badezimmerspiegel. Mallory legte das Schulterhalfter an.
Edith stand im Gegensatz zu den anderen Séance-Teilnehmerinnen nicht unter polizeilicher Beobachtung. Mallory überlegte, ob sie Coffey anrufen sollte. Nein, bei einer so dürftigen Beweislage war es besser, den Täter auf frischer Tat zu schnappen. Coffey
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