Ein Ort zum sterben
mit der Polizei gesprochen, Sie machen das im Alleingang, stimmt’s? Der Brief ist von Ihnen, Sie haben nur den Namen von der Alten daruntergesetzt.«
»Glauben Sie, was Sie wollen.«
»Los, sagen Sie schon, wie Sie mir draufgekommen sind.«
»Wenn Sie sowieso vorhaben, mich umbringen, würde ich die lange Liste Ihrer Patzer und Mißgriffe lieber mit ins Grab nehmen.«
»Spielt ja auch keine Rolle.« Gaynor zog das Messer ein Stück zurück. »Es würde sowieso auf einen Indizienbeweis hinauslaufen. Was an Beweismaterial da ist, belastet Margot oder Henry ganz genauso.«
»Ach richtig, das hätte ich fast vergessen: Ich habe vor ein paar Minuten von der Polizei erfahren, daß Margot Siddon im Gefängnis sitzt. Henry versucht, sie auf Kaution freizubekommen, aber das wird er nicht schaffen. Sie hatte offenbar einen schlechten Tag. Da hat sie versucht, einen Kriminalbeamten zu erstechen, der gerade dienstfrei hatte.«
»Das ist gelogen, Charles.«
»Fragen Sie bei der New Yorker Polizei nach, wenn Sie mir nicht glauben.«
»Wir könnten warten, bis Henry heimkommt. Oder Sie könnten ganz unsensationell als Opfer eines Einbrechers enden, den Sie bei seinem Raubzug gestört haben. Das kommt in New York bekanntlich alle Tage vor.«
Ohne Charles aus den Augen zu lassen, griff Gaynor zum Telefon. »Tippen Sie die Zahlen ein, die ich Ihnen ansage.« Als die Verbindung hergestellt war, nahm er ihm den Hörer aus der Hand, wartete sechsmal den Rufton ab und legte wieder auf.
»Bei Henry meldet sich niemand. Aber vielleicht wollen Sie ja lieber doch nicht auf ihn warten …«
»Nein, ich habe es mir überlegt«, sagte Charles, als das Messer wieder näherkam. »Ich werde Ihnen sagen, wie ich es herausbekommen habe, und vielleicht können Sie noch die eine oder andere Einzelheit ergänzen. Einverstanden?«
»Einverstanden.«
»Sie haben Ihre Opfer nicht sehr klug gewählt. Samantha Siddons Leiche hätten Sie ebenso gut signieren können.«
»Sie war ja nicht mal –«
»Für Louis Markowitz war Ihre Tante Dreh- und Angelpunkt des Falls. Louis hielt viel von Geldmotiven. Sie wußten natürlich, daß sich die Börsenaufsicht bei den Ermittlungen in Sachen Whitman Chemicals auch mit Ihrer Tante befaßt hatte.«
»Wie kommen Sie von einer brandaktuellen Mordserie auf eine Börsentransaktion aus den achtziger Jahren?«
»In dem Untersuchungsbericht wurde in einer Fußnote auch Ihre Tante erwähnt. Die Hauptbegünstigten der Fusion wurden damals alle durchleuchtet. Die Justizbehörden entschieden sich gegen eine Strafverfolgung. Über dem Junk-Bond-Skandal und den groß angelegten Brokerbetrügereien gerieten ein paar alte Damen und eine Hellseherin schnell in Vergessenheit.«
»Und was hat das mit mir zu tun?«
»Ihre Tante hat Sie auf die Fusion aufmerksam gemacht, nicht wahr? Nach Mallorys Unterlagen haben Sie in jenem Jahr nur bescheidene – fast zu bescheidene – Gewinne erzielt. Das hat mich stutzig gemacht. Aber schließlich stand Ihnen ja eine Millionenerbschaft ins Haus …«
»Ich habe nie in Whitman Chemicals investiert.«
»Ich denke mir, daß Sie den Insidertip weitergaben und sich dafür mit einer ansehnlichen Gewinnbeteiligung bezahlen ließen. Vielleicht haben Sie diesen Dreh von Ihrer Tante gelernt. Zu der Zeit war sie noch ein ziemlich kleines Licht. Sie führte Edith Klienten zu und nutzte das, was sie dabei erfuhr, für sich.«
»Selbst wenn Sie das beweisen könnten – mir kann keiner was anhängen, das Geschäft ist verjährt.«
»Aber die Geschäfte Ihrer Tante sind es nicht. Mallory haben Sie erzählt, daß Sie wegen der Séance Streit mit Ihrer Tante hatten. Das wundert mich nicht. Es muß ein echter Schock gewesen sein festzustellen, daß und in welchem Ausmaß sie sich nach wie vor auf dem Börsenparkett betätigte. Ihr Vermögen hatte sich nach der auf Ediths Rat vollzogenen Fusion verdoppelt, weitere Deals des Kartells ließen es geradezu beängstigend anschwellen. Bei so vielen Mitwissern war das Unternehmen nicht mehr zu steuern, der Absturz nur noch eine Frage der Zeit. In solchen Fällen kassiert der Staat das ganze Vermögen und verhängt darüber hinaus Geldstrafen in Millionenhöhe. Aber nach der formellen Testamentsbestätigung kommt an einen Nachlaß nicht einmal mehr die Börsenaufsicht heran. Mallory hatte gleich die richtige Witterung. Sie hielt genauso viel von Geldmotiven wie Louis Markowitz.«
»Zurück zu Samantha Siddon. Wo, bitte, sehen Sie da eine Verbindung
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