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Ein Ort zum sterben

Ein Ort zum sterben

Titel: Ein Ort zum sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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während sie ihren Status als Polizistin behielt, die allerdings zur Zeit beurlaubt und deshalb gewissen Einschränkungen unterworfen war.
    Die Partnerschaft bestand erst wenige Minuten, und schon hatte sie ihn über den Tisch gezogen. Das konnte unmöglich legal sein, es gab schließlich Regeln und Vorschriften und … Sie lächelte. Die Tür klappte zu.
    Schon nach wenigen Sekunden war ihm, als habe er etwas verloren. Immer ging es ihm so mit ihr. In jedem Zimmer, das sie verließ, blieb ein Vakuum zurück, ein leise nach Chanel duftender leerer Raum.
    Nur in Tagträumen hatte er jemals mit dem Gedanken gespielt, zwischen ihnen könnte irgendwann einmal mehr sein als nur Freundschaft. Sie war eine schöne junge Frau, er ein Mann mit einer lächerlich großen, lächerlich gebogenen Nase, einem liebenswürdig verrückten Lächeln und nach Meinung nicht weniger seiner Mitmenschen auch sonst noch etlichen Macken.
    Sein eidetisches Gedächtnis rief die letzte Seite von Markowitz’ Brief auf und projizierte sie mit allen Einzelheiten – von den Falzen im Papier bis zu den schwarzen Tintenklecksen des Füllers, den Louis stets benutzte – auf eine freie Wandfläche.
     
    »Sie hat bis auf die paar Wochen in der Ausbildung nie praktisch gearbeitet, und ich möchte nicht, daß sie es jetzt tut, um mir über den Tod hinaus auf den Fersen zu bleiben. Es ist hart zu wissen, daß ich nicht immer da sein kann, um sie zu schützen.
    Sie hat ihre ganze Kindheit auf der Straße verbracht, hat sich Frühstück, Mittag- und Abendessen und auch ihre Schuhe zusammengeklaut. Sie kennt keine Angst und glaubt fest, daß gegen ihren schlauen Kopf (oder aber gegen ihre Kanone) keiner ankommt. Das Dumme ist, daß sie wirklich ganz schön clever ist und verdammt gut schießen kann, so daß die Vorstellung gar nicht so abwegig ist.
    Einigermaßen beängstigend, was?«
     
    Louis fehlte ihm sehr. Zum letzten Mal hatte er ihn an dem Tag der Briefübergabe gesehen. Wie behutsam er sein Sherryglas in der Hand gehalten hatte! Seine Bewegungen, seine Haltung hatten trotz seines Übergewichts eine unglaubliche Leichtigkeit. In Ruhestellung erinnerte er auf den ersten Blick an einen verfetteten Basset. Doch wenn sich das schwere, faltige Gesicht zu einem Lächeln verzog, verlor sich diese Vorstellung, und sein ganzer Charme kam zum Vorschein. Man lächelte unwillkürlich zurück. Es war schon vorgekommen, daß harte Burschen in Handschellen zurückgelächelt hatten.
    Hatte Louis gewußt, wer ihn ermorden würde? War es der Mann gewesen, der alte Damen abschlachtete? Denn ein Mann mußte es wohl gewesen sein. Frauen lag diese Art von Gewalttätigkeit nicht. Ein Mann von überragender Intelligenz. Wenn Louis fürchtete, Mallory könnte ihm nicht gewachsen sein, war er intellektuell eindeutig Spitzenklasse.
    Aber du knobelst an dem falschen Rätsel herum, mein Freund, sagte sich Charles. Louis hat nicht verlangt, daß du seinen Mörder jagst, sondern daß du dich um seine Tochter kümmerst, und das ist entschieden die größere Herausforderung.
     
    Mallory schaltete den Motor aus und rückte sich bequemer zurecht, während Jonathan Gaynor das Taxi zahlte und das Apartmenthaus betrat. Von Montag bis Freitag hatte er einen festen Tagesablauf, und sie ließ ihn bis zur Dämmerung nicht aus den Augen. Alle Morde waren tagsüber begangen worden.
    Der leichte Septemberwind wehte den würzigen Duft von frisch gemähtem Gras durchs Wagenfenster. Mallory schätzte die sauberen Straßen, den gepflegten Park, die wohltuende Ordnung von Gramercy Park. Die Ruhe, die blühenden Blumen – all das war so anders als überall sonst in der Stadt, daß sie ein in ihrem Workaholic-Leben völlig ungewohntes Gefühl von Frieden überkam. Sie sah zu dem Schuppen hinüber, wo Anne Cathery, von ihren Perlen umgeben, unter einem Müllsack auf der blutgetränkten Erde gelegen hatte. Nur wenige Meter von dieser Stelle entfernt saß heute auf einer Bank Henry Cathery, der Enkel des Opfers.
    Er sah nicht aus wie einundzwanzig, sondern wirkte eher wie ein zu groß geratener Zwölfjähriger. Auch er war ein Gewohnheitsmensch, der zwar zu unterschiedlichen Zeiten, aber zuverlässig jeden Tag in den Park kam und sich immer dieselbe Bank aussuchte. Auch an dem Tag, als seine Großmutter ermordet worden war, hatte er demnach nur wenige Meter vom Tatort entfernt gesessen.
    Cathery beschäftigte sich mit seinem Reiseschach, ohne die Welt um sich herum wahrzunehmen. Die Polizei hatte bei

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