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Ein Ort zum sterben

Ein Ort zum sterben

Titel: Ein Ort zum sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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den Eingang zu. Sie sprach Spanisch mit dem Taxifahrer, Französisch mit dem Jungen und Englisch mit dem Pförtner, dann schloß sich die Glastür hinter ihr und ihrem Gefolge.
    Die Sonne, die Mallory warm ins Gesicht schien, verfinsterte sich jäh.
    »Bitte verhaften Sie diese Person!«
    Durch das heruntergekurbelte Wagenfenster sah Mallory eine Mittfünfzigerin vor sich stehen. Sie hatte ein verkniffenes Gesicht und trotz des erschlafften Kinns und der verquollenen Augen in dem Nest von Krähenfüßen sattbraunes Haar ohne jede graue Strähne. Das Leinenkostüm war von Lord & Taylor, die Perlenkette echt.
    »Haben Sie nicht gehört? Bitte verhaften Sie sofort diese Person!«
    Die Frau deutete auf die Tür, hinter der Zentnerweib, Junge und Hund verschwunden waren.
    »Ich wiederhole mich nicht gerne.« Die gut gekleidete ältere Dame hatte offenbar Übung darin, bissige Hunde auf Lieferanten zu hetzen.
    »Ich bin nicht bei der Polizei, Lady.«
    »Erzählen Sie mir doch nichts!«
    »Ich–«
    »Zuerst hatte ich ja auch meine Zweifel, weil Ihr Wagen so ordentlich war. Aber jetzt …«
    Mallory warf einen Blick auf die Rückbank. Zeitungen und Sandwichhüllen lagen zwischen Notizbüchern und Fast-food-Schachteln, Strohhalmen und Zuckerwürfeln, Ketchup- und Senftütchen, leeren Filmspulen, weißen Plastiktüten mit dem Aufdruck des Drugstores, in dem sie ihr Fotomaterial kaufte, und einem angebissenen Sandwich. Der ganze Wagen war vollgemüllt mit allem, was sich so ansammelt, wenn man Stunden und Tage in einem Observierungsfahrzeug sitzt. Ein Schild am Wagen hätte nicht verräterischer sein können.
    Käme das Coffey zu Ohren, würde er sich totlachen. Und sie schleunigst vom Dienst suspendieren – ohne Gehaltsfortzahlung, Waffe und Dienstausweis.
    »Ich bin nicht bei der Polizei.«
    »Diese vielen Kaffeebecher … Und der braune Wagen … Sie sind Polizistin, und wenn Sie die Frau da nicht verhaften, melde ich Sie Ihrem Vorgesetzten. Ich kenne Commissioner Beale sehr gut, wir haben den gleichen Zahnarzt.«
    »Ich bin nicht–«
    »Sie haben also nicht in dieser und der letzten Woche hier auf der Lauer gelegen?«
    »Ich bin Privatdetektivin.«
    »Was?«
    Mallory gab ihr eine Visitenkarte. »Der Commissioner sieht es bestimmt nicht gern, wenn wir seinen Leuten ins Handwerk pfuschen«, sagte sie.
    Mit skeptisch heruntergezogenen Mundwinkeln las die Frau, was auf der Karte stand.
    »Diskrete Ermittlungen? Es darf gelacht werden …«
    In diesem Moment kam Jonathan Gaynor aus dem Haus. Mallory ließ den Motor an und legte den Gang ein. Er hatte sich umgezogen und eine Baseballkappe aufgesetzt, aber sie hätte ihn auch von weitem allein an der Körpersprache erkannt. Mit seinem langbeinigen Schlenkergang sah er aus wie eine Vogelscheuche, die der Wind vor sich hertreibt.
    Trotz seiner linkischen Bewegungen wirkte er nicht unsympathisch. Brünett, Vollbart, schmales, frisches Gesicht – durchaus ihr Typ. Wäre da nicht der Gedanke gewesen, daß Gaynor womöglich ihren Vater erstochen und zum Sterben allein gelassen hatte.
    Gaynor winkte ein Taxi heran, und Mallory gab Gas.
    Im Rückspiegel sah sie, daß die verkniffene Matrone ihr mit offenem Mund nachsah und Mallorys Visitenkarte warnend schwenkte wie eine rote Fahne.
     
    Rabbi David Kaplan kämpfte verbissen mit den Beinen des Kartentisches. Theoretisch war es ganz einfach, sie auszuklappen, aber die verdammten Dinger wollten nicht so wie er.
    »Das macht sonst immer meine Frau. Sie hat nicht mit Besuch gerechnet.«
    »Gut, daß ich das Bier mitgebracht habe«, sagte Dr. Edward Slope. »Ist irgendwas im Kühlschrank?«
    An sich hätte heute Abend Louis Markowitz für die Verpflegung sorgen müssen. Slopes Frau Donna hatte das so eingeführt. »Erwartet bloß nicht, daß Anna für euch kocht«, hatte sie gesagt, denn Anna hätte sich nie mit belegten Broten begnügt, sondern aufgefahren, was Küche und Keller nur hergaben.
    »Ich bin nun fünfunddreißig Jahre mit dieser Frau verheiratet«, sagte der Rabbi, »aber einen leeren Kühlschrank habe ich bei ihr noch nie gesehen.« Ein Tischbein war glücklich draußen, aber nur, weil er völlig unbewußt die Verriegelung gelöst hatte. Bei seiner Frau dauerte das ganze Unternehmen drei Sekunden. Wahrscheinlich zwang sie den Kartentisch durch schiere Willenskraft, sich aufzustellen und womöglich noch auf seinen vier Beinen allein in die Zimmermitte zu marschieren.
    Slope ging in die Küche und machte den Kühlschrank auf.

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