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Ein Ort zum sterben

Ein Ort zum sterben

Titel: Ein Ort zum sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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ihren Ermittlungen vor zwei Monaten festgestellt, daß es sich umgekehrt genauso verhielt: Alle Pförtner, alle Anwohner waren so sehr an Cathery gewöhnt, daß sie ihn überhaupt nicht mehr sahen. Er war ein ebenso gewohnter Anblick wie die Hydranten, von denen sie auch nicht hätten beschwören können, ob sie nicht einen Vormittag lang verschwunden waren, um dann nachmittags wieder aufzutauchen.
    Pearl Whitman hatte als einzige eine Aussage gemacht, die Cathery für die Zeit des Mordes an seiner Großmutter ein Alibi lieferte. Wie mochte Markowitz das bewertet haben? Da er an Zufälle nicht glaubte, konnte ihm durchaus der Gedanke gekommen sein, daß Pearl Whitman womöglich von ihrer Aussage abgerückt wäre. Oder war es einfach Catherys Pech, daß sie als bisher letztes Opfer hatte herhalten müssen?
    Wer weiß, wie viel an Bösem wohnt in eines Menschen Herz?
    Der Schatten weiß es.
    Mallory lächelte, als sie an diese Sätze dachte, mit denen alle Folgen der alten Radiosendung begonnen hatten. Markowitz hatte sich immer bemüht, sie zu kreativem Denken zu erziehen, zu einer Sicht, die über den Tellerrand hinausging und sich auch an Unkonventionelles wagte. In eine eher unkonventionelle Richtung ging auch ihr nächster Gedanke: daß man sich nämlich Henry Cathery gut als einen Mann von einem anderen Stern vorstellen konnte. Seine Augenbrauen waren wie in ständigem Staunen hochgezogen, um den kleinen Mund lag ein Ausdruck von Verdrossenheit und Ekel wie nach einem versehentlichen Tritt in einen Hundehaufen. Es gab da eine lockere Beziehung zu einer schlampig gekleideten jungen Frau, die sich manchmal neben ihn setzte und auf ihn einredete, ohne Antwort zu bekommen. Richtige Freunde hatte er nicht.
    Ebenso wenig wie Mallory, vor allem nachdem sie und Charles Teilhaber geworden waren.
    Markowitz war vielleicht von dem Persönlichkeitsprofil des FBI abgerückt, das so gut auf Cathery paßte, von Cathery selbst aber war er keinesfalls abgegangen, er hatte nur auf der Korkplatte für ihn gewissermaßen eine eigene Abteilung eingerichtet. Cathery hatte vor kurzem das bisher treuhänderisch verwaltete beträchtliche Vermögen seiner Eltern geerbt, war also auf das Geld seiner Großmutter nicht angewiesen. Mord aus Habgier paßte auf ihn lange nicht so gut wie auf Gaynor.
    Mallory hatte herausgefunden, an welcher Stelle sie für das Observierungsteam der Polizei im toten Winkel stand, und hatte deshalb heute ein Stück näher an Jonathan Gaynors Haus geparkt. Vier Wagen vor ihr hielt ein Taxi. Das Zentnerweib samt Gefolge war diese Woche eine Stunde früher dran. Zuerst stieg der Junge aus, dann der kläffende Dobermannwelpe. Ein Pförtner half dem Taxifahrer, Taschen und Tisch, Grammophon und Schachteln auszuladen. Als das Zentnerweib sich aus dem Fahrzeug kämpfte, ging Mallory die Beschreibung einer gewissen technisch begabten Hochstaplerin durch, die sie auf einem Fahndungsblatt gelesen hatte. Größe und Gewicht, der jugendliche Gehilfe, der Hund – alles stimmte, nur nicht das Alter des Dobermanns. Das Fahndungsblatt war mehrere Jahre alt, dieser Hund aber höchstens ein halbes Jahr.
    Bisher war ihr einziger Zugang zum Gramercy Square die Verbindung zwischen Charles und Edith Candle, der Frau, die in dem Untersuchungsbericht der Börsenaufsicht erwähnt war und den lebenden Beweis für Markowitz’ These lieferte, daß die Welt eben doch ein Dorf war. Wenn ich es schaffe, dachte Mallory, mich mit dem Zentnerweib anzufreunden oder sie irgendwie unter Druck zu setzen, kann sie mir vielleicht zu Kontakten mit ihrer exklusiven Kundschaft verhelfen, und ich brauche nicht mehr hier im Wagen herumzulungern.
    Sie richtete ihr Teleobjektiv auf das Gesicht des Zentnerweibs. Sie war nicht so hellhäutig, wie Mallory zuerst gedacht hatte. Die Iris waren dunkel, schimmerten bläulich und rollten wie gut geölte Kugellager in den Augen mit der Mongolenfalte herum. Die Gesichtshaut hatte einen mediterranen Olivton, Nasenlöcher und Lippen waren klassisch afrikanisch. Heute hing ihr das rötlichbraune Haar glatt über die Schultern. Wie viele Rassen wohnten wohl in diesem gewaltigen Körper? Eine Frau wie Mutter Erde.
    Das Zentnerweib zündete sich einen schwarzen Zigarillo an und rief den Jungen. Seltsam schwerfällig, mit schleppenden Schritten und hängendem Kopf, kam er zu ihr hingetappt. Was war los mit ihm?
    Die erstaunlich zierlichen Füße unter dem langen bunten Baumwollrock des Zentnerweibs bewegten sich rasch auf

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